Norwid Poesiealbum rf

Norwid Poesialb nur rf

Poesiealbum Norwid

linke Umschlagseite:

 (…) ein Autor höchst eigenständiger Werke, in denen ein beinahe dekadentes Raffinement an geniale Schlichtheit grenzt, aber vor allem auch (…) ein  wahres Phänomen in seiner Zeit. Er ist ein Phänomen durch sein bewusstes Verhältnis zum Katholizismus (…), durch sein Kulturbewusstsein, und schließlich als Dichter, der in seiner Poesie über Kunst nicht nur räsonierte, sondern sie auch zum Grundelement seiner Gedichte machte, lange vor Mallarmé und Valéry in Frankreich. (Jan Lechoń, „Über polnische Literatur“ 1946) 

Cyprian Norwid (geb. 1821 in Laskowo-Głuchy, gest. 1883 in Paris), im selben Jahr geboren wie F. Dostoevskij und Ch. Baudelaire, war Dichter, Maler und Bildhauer des Exils und wurde postum als Jahrhundertdichter und Bahnbrecher der polnischen Moderne erkannt. Nach einer Bildhauerlehre und ersten Erfolgen als Lyriker in Warschau verbringt er Wanderjahre in Deutschland (16 Monate), Italien (4 Jahre); Brüssel (5 Monate), Paris (3 Jahre), New York (17 Monate) und London (1/2 Jahr). 1854 lässt er sich endgültig in Paris nieder. Seiner kränklichen Konstitution, seiner Affinität zum Scheitern und ständiger materieller Misere trotzt der Außenseiter ein ansehnliches künstlerisches, sowie ein herausragendes literarisches und essayistisch-philosophisches Oeuvre ab. Seine eigenwillige Poesie mit ihren aggressiven Archaismen, kühnen Innovationen und weiten kulturhistorischen, philosophischen und religiösen Horizonten erschließt sich nicht immer bei erster Lektüre. Sie wahrt Distanz zu Romantik, Realismus und l’art pour l’art und bezeugt bei ausgeprägt ironischer, perspektivisch gebrochener Grundeinstellung ein großes moralisches und gesellschaftskritisches Verantwortungsgefühl des Künstlers und Dichters. Sie wurde weitgehend erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts erschlossen und zog kleinere und größere Geister in ihren Bann, unter letzteren Bolesław Leśmian, Julian Przyboś, Roman Jakobson, Czesław Miłosz, Zbigniew Herbert, Gennadij Ajgi, Iosif Brodskij, Tomas Venclova. – Norwids Gedichttexte sind zugleich typographische Architektur (Sperrungen), Wortarbeit (u.a. Neologismen, Aktivierung „unpassender“ Grund- und Nebenbedeutungen) und Partitur für die Rezitation (markante eigene Interpunktion).

Gedichtbücher: „Vier Saiten Gesellschaftslied 1848“, Posen 1849; „Promethidion“, Paris 1851; „Dichtungen“, Leipzig 1863; „Gesammelte Schriften“, Bd. A – F, Warschau-Krakau 1911 [1912-1914]; „Vade-mecum“, Tunbridge Wells 1953.

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(: GEMEINPLATZE 🙂

1

Wenn, mit des Lebens Lenz, der Künstler-Geist 

Sich tränkt am Hauch wie Schmetterlinge,

Darf er nur so viel sagen:

„Die Erde ist rund – ist kugelig!“

2

Wenn aber späterer Kälten Wehen

Die Bäume rührt, und die Blüten fallen,

Dann muss man dazu noch bemerken:

„An den Polen ist sie – etwas – abgeflacht… “

3

Über allen euren Reizen,

Du! Poesie, und du, Rhetorik, 

Ist einer – ewig der höchste:

………………………….. .

Der Sache das richtige geben – das Wort!

XXIV. VERWAISUNG

1

Man sagt, der Fortschritt bereichere uns Ära um Ära; 

Sehr lieb ist mir das, und angenehm:

Leider! erfreu ich mich Tag um Tag weniger an mir,

Ich sterblicher Mensch!

2

Zwei Zivilisationen – sehe ich ständig:

Eine – will alles entdecken im Ernst, 

Die andere – will alles bedecken zum Spaß

Mit prächtiger Livree!… 

3

Die entdeckende?… geht allweil sonnenwärts: 

„Wartet ! – sagt sie den Generationen – denn 

Vollend’ ich erst meiner Entdeckungen Serie,

Dann hab etwas – auch euch ich zu sagen!… “

4

Die zudeckende?… erfreut uns auf andere Weise:

Zeig ihr den Quell der Tränen?… dann wird sie entgegnen:

„Da soll man gar nicht drauf achten… was? das bedeutet… 

Vielleicht – ist es Regen.“

5

Bei zwei, so segensreichen, Wärterinnen 

Versänke die Menschheit in tiefe Verwaisung, 

Wär’ nicht der Globus der Arm einer Amme,

Die Sonne?… ihr Auge!… 

XXXVII. ZWEIERLEI SIBIRIEN

1

Ihr Sub-Polaren! auf der Geschichte Brache, 

Wo ganze Tage

Der Himmel Gott zuzurufen scheint: 

„Kalt ist auch mir… “

2

Kehrt ihr zurück? wann? – wieviele? und welche? –

Aus tödlichen Prüfungen,

In ein zweites Sibirien: des Gelds und der Arbeit,

Wo frei ist – das Grab!

3

Oder? wird erst diese beiden Sibirien, 

Beiden Gefangenschaften,

Fortstoßen mit dem Fuß, wie alte Livreen 

Der Groß-Herr… Geist!

MARIONETTEN

                        1

Wie soll dir nicht öd sein? wenn oben im Weltall

Sterne millionenfach still für sich leuchten,

Und jeder davon glänzt auf andere Weise,

Und alles steht da – und fliegt…

                        2

Und die Welt steht so da – mit den Schlünden der Zeit,

Und alles, was lebt gegenwärtig,

Wovon kein Knochen wird übrigbleiben,

Aber Leute wird’s geben, wie ehedem…

                        3

Wie soll dir nicht öd sein auf so kleiner Bühne,

Die so ungenial eingerichtet,

Wo alle schon aller Ideale spielten

Und Theater das Leben kostet – 

                        4

Ich weiß echt nicht, wie hier die Zeit totschlagen,

Die Ödnis erfasst mich aufs Schlimmste;

Was soll ich, Gnädigste, dagegen machen,

Soll ich Prosa schreiben, oder Verse? –

                        5

Oder gar nichts schreiben…bloß im Sonnenschein

Den feschen Roman zu mir nehmen:

Den die Sintflut schrieb auf Körnern Sands

Wohl zum Vergnügen der Menschheit (!) –

                        6

Oder noch besser – ist eine andere Methode

Gegen die schaurige Ödnis:

Die Menschen vergessen,  bei Personen verkehren,

– Und immer den Schlips schön binden!…

[WIE OFT IN PATHOSVOLLEM MELODRAM]

Wie oft in pathosvollem Melodram

Absichtlich ein Akteur im Dunkeln wandelt

Mit trägem Schritt, und heuchelt Desinteresse,

Führt aber Neid und Sorg’ in seinem Auge –

Behält im Blick die hier vorübergehen,

Scheut sie, so wie der Schmuggler im Gebirge, 

Ist bitter, weil sich niemand seiner annimmt…

So ist der Kater heut’ am Namenstag von Wanda.

XIII. LARVE 

1

Auf glitschigem Pflaster in London, 

Im mondesfahl weißen Nebel

Geht, so manche, Gestalt vorüber, 

Doch du behältst sie, voll Schrecken.

2

Hat sie die Stirn in Dornen? oder im Schmutz? 

Man kann es nicht unterscheiden;

Ein Gespräch mit Gott über Wunder

Auf den Lippen… oder? gottlosen Schaum! … 

3

Du meinst fast, das sei die Bibel,

Was da taumelt im Straßenschlamm,

Kein Mensch rührt sie mehr an,

Denn jetzt sei nicht Zeit, an Tugend zu denken! … 

4

Verzweiflung und Geld – zwei Worte 

Schimmern im Weiß ihrer Augen.

Woher sie kommt… behält sie für sich.

Wohin sie geht… gewiss, wo nichts ist!

5

Einer solchen Hexe gleicht

Die Menschheit, die heut weint und ätzt;

– Wie die Geschichte… weiß sie nur: „Blut… “ 

Wie die Gesellschaft? … nur: „Geld!… “

XIX. HAUPTSTADT

1

O! Straße, du Straße… 

In Städten, darüber das Kreuz;

Deine Scheiben funkeln und glitzern 

Wie Katzenaugen, beim Fang der Maus.

2

Die Passanten, gedrängt, in Trauerschwarz,

(Der Farbe der Stoiker*),

Aber jeder hat’s eilig, dass es schier dampft

Von all dem Hasten und Schreien.

3

Zwei Bewegungen und Gesten, zwei nur: 

Fabrikanten, die etwas mit Verzweiflung jagen, 

Und Arbeiter, soeben ausgezahlt,                        

Die – Triumph verspüren… 

4

Zwei Konvulsionen, und zwei Bilder: 

Der vorab aufgekaufte Himmel,

Oder – die Fabrik-Ekstase

Um – ein Stück Brot.

5

Ein Araber kommt, mit priesterlichem Haupt, 

Strahlt in der düsteren Menge

Weiß, wie ein Standbild aus Elfenbein:

Schau ich ihn an… erquick’ ich mein Auge!

6

Ein Trauerzug kommt, fließt ab in die Seitengassen 

In un-vergewaltigtem Schreiten;

Geh ich ihm nach, ruh ich meine Gesten aus, 

Schau ich ihn an – erholt sich mein Auge ! … 

7

Oder – ich übersehe die Narben der Nächsten-Gesichter, 

Und tauche im Sinn in die Höhe:

Im Himmelsblau ein Ballon erglänzt;

In den Wolken?… das Kreuz!

*Die schwarze Farbe der Kleider haben die Christen von den Stoikernübernommen.

LVI. GEFÜHLE

Gefühle – sind wie voller Schrei der Kriege,

Und wie murmelnder Quellen Strom,

Und wie ein Grabgesang… 

*

Und wie die lange Kordel aus blonden Haaren, 

An der der Witwer zu tragen pflegt

Die Silberuhr – – 

XC. ZWEI KNÖPFE

       (HINTEN)

Der Bauer spricht, wie’s ihm kommt – doch ein gelehrter Mensch,

Wie er’s in der Schule gehört – während ein inspirierter Geist

Im Sprechen schafft…und weit vor aller Grammatik

Steht Homer! … doch der Professor spricht, wie er schreibt,

Der ist imstand und geht mit dem Kopf durch die Wand.

Der Musiker spricht, wie ihm die Tasten in die Finger gleiten.

Und wenn wer einen versprengten Wilden

Vor den Tempel stellte in Athen, auf dessen Giebel

Der Grundriss erscheint – – würde der sagen: „Warum?…

Warum?…hebt der Plan sich hervor aus der Tiefe, und versinkt nicht

In den Grundfesten des Baus? – wieso ragen diese inneren

Gesetze wie ein Mammutskelett…aus des Grabhügels Höhe?

Wenn doch jene Linie nicht die geringste Kraft gibt –

Und diese Öffnung der Linien die Kraft nicht verstärkt?

                                   *

Dies wären die Fragen, und so die Verwunderung

Des wilden Skythen. – Wildheit kommt nämlich daher,

Dass man einseitig ist, wie Wurzeln der Blumen,

Und nicht die wider-läufigen Hälften versöhnt.

*

Die Blume singt: „Ich – flimmere direkt zur Sonne!“ – aber die Wurzel:

Dass die Blume ihr Wurzel ist…und der Unterschied – aus den Situationen 

Herrührt, nicht aus der Natur – und weil sie im Dunkeln

Fühlt, wo sie hinstrebt, ist ihr die Blume, die eitle, egal!

                                   *

Doch Schöne-Rede heißt überall und immer,

Die Wörter anmutig auszusprechen,

Und zugleich so, dass man die Schreibart wahrnimmt:

An dieser Eintracht, an diesem untrüglichen Merkmal

Erkennst du: das Einzelne verkehrt mit dem Gesetz,

Der Geist? – mit dem Buchstaben, nächtliche Tiefe – mit Tageshelle!

                                   *

Ich füge hier an, dass den Chinesen, wenn sie uns sehen,

Sehr merkwürdig vorkommen die Knöpfe,

Zwei – hinten! –, die, fragen die Chinesen: „bedeuten? – was?…

Zu was? sind sie da…?

                                   *

                                               Den Nutzen – erkennt der Wilde,

Doch die Gesamtharmonie kann er nicht begreifen,

Wie der Kranke nicht aufstehen kann und sein Bett auf sich nehmen.

Er – kann nicht sehen…dass, wenn, wie Gräber,

Oder wie Schlafröcke, die Menschen fett wären…vielleicht

Die Zwei-Knöpfe am Kreuz gar nicht da wären!

XCV. NERVEN

Ich war gestern an einem Ort, wo sie vor Hunger sterben – 

Sah in den Sargesraum der Stuben;

Mein Fuß verfing sich beim Abgang

Auf ungezähltem Stockwerk!

*

Es muss ein Wunder gewesen sein – es war ein Wunder,

Dass ich einen morschen Balken ergriff… 

(Und ein Nagel steckte darin,

Wie in den Armen des Kreuzes!… ) – ich kam heil davon!

*

Doch erhob ich nur – das halbe Herz – nicht mehr: 

Von Freude? … kaum eine Spur!

Wich der Menge aus wie dem Viehmarkt;

Zuwider war mir die Welt… 

*

Ich muss heut zur Frau Baronin gehen, 

Die immer sehr schön empfängt

Auf ihrem Kanapee von Atlas – –

Was? werd’ ich ihr sagen? … 

… Der Spiegel würde platzen, 

Die Kandelaber würden Grimassen ziehn: Realismus,

Und die gemalten Papageien 

Würden über den ganzen Plafond

Von Schnabel zu Schnabel rufen: „Sozialismus!“

*

Deshalb: ich werd’ mich setzen, den Hut

In der Hand – dann setz ich ihn wieder auf 

Und gehe heim als schweigender Pharisäer

– Aus der Spaß.

XCVI. DER LETZTE DESPOTISMUS

„Was gibt es Neues?“ – „Der Despotismus stürzte!… gleich erzähl’ ich:

Hier die Depesche… “

                                        „Wie?… steht’s mit der werten Gesundheit –

Setzen Sie sich! – die Depesche? sagt ?… – nehmen Sie Platz.

Doch was? hör’ ich: in der Halle rascheln Mackintoshs,

Jemand kommt! – der Baron – was? macht die werte Gesundheit… 

Bitte Platz zu nehmen – – was? haben Herr Baron uns Neues zu sagen?… “

*

„Diese Depesche, was? sagt sie… vielleicht eine Pomeranze?… 

Oder vielleicht Wasser mit Zucker?“ – – „Heuschreckenschwärme

In Griechenland – – In Zypern sank Ufer ins Meer –

Im Barbier von Sevilla tritt die P a t t i auf –

– Die Pomeranze ist, wie ich sehe, aus Malta – vorzüglich! 

Vielleicht noch eine?… 

*

„… und wie soll nun jener Despotismus gestürzt sein??“

*

Doch – gerade meldet man Frau Ex-Kammerherr

Mit angenommenem Sohn – – „Was sagen Sie bloß zum Nepotismus?

Der Knabe ist älter als die Mutter um Jahr und Kopf… 

Gerade kommen sie… 

    … wie? soll nun jener Despotismus gestürzt sein.“

            XCIII. DIE QUELLE

Als durch die Hölle ich irrte, von der ich nicht singe,

Weil eher mir Flüche den Mund verkleben – 

Wie eklige Fliegen, die vor Hitze wüten,

Und nicht singe, weil mich gleich ein Gähnen befällt;

Wie ich so irrte, kam ich in die lange und gerade

Kolonnade-des-Stumpfsinns – ferner in Marotten-Gänge,

Und an den Friedhof-der-Riesen, die im Sand nicht fertigsterben,

Die bewegten sich träge unterm steinernen Pflaster.

Als ich schreitend durchmaß die Vor-Zimmer-

Der-dummen-Nerven, die ständig Gewänder anmessen,

Aber zum Hochzeitstermin niemals bekleidet sind…

– Als ich die Armuts-Schwelle, die Lügen-Portale durchschritt,

Und schon das dreiste Labyrinth-des-Verbrechens passierte – 

Allenthalben war es beklebt mit rechtsgültigen Urteilen – –

Befand ich mich an einem Ort, wo Lava unterm Fuß

Erkaltete – und weiter ging’s in einer Luft, in einer Zeit,

In einem Licht, die redlich Gott-los waren!…

– Ähnlich vulkanverkohlten Gefilden, oder dem Meer,

Das versumpft ist durch gebremsten Fortschritt,

Oder den Meereswogen, die stehend einander anschauten,

Konsterniert über die seltsamen Sitten der Tiefen,

Wie Sphinxe – und über ihnen etliche Pelikane,

Mit aufgerissenen Schlünden, die trockneten vor Durst,

Und ein paar rote Sterne, die flogen in den Abgrund,

Erlöschend…

                     dort ging ich (ich kann’s ohne Seufzen nicht sagen!…)

Ging dort – – wohin?… zweifelnd … als ein klein Pflänzchen,

Bleich, wie ungeschickt gestickt,

Mir zuflüsterte: „…Es gibt eine Quelle…“ – und weiter, im Hohlweg,

Empfand ich etwas wie Feuchtigkeit.

                                                           Von dorther

Drang bitteres Gelächter mich an, gedämpftes Murmeln,

Und sah dort einen Mann, der hielt auf seinem Kopf die Hände,

Wie wenn wer alle seine Kraft den Füßen überträgt – –

Der stampfte auf die blaue Quellen-Ader ein,

Bald schien’s, sie schlang sich ihm um die Sandalen,

Bald wand sie sich im Staub, in den sein Fuß sie trat.

Das Lachen dieses Mannes war ein Wüten – und was er dazu sprach:

War wie der Trommelschlag im Leichenzug,

Und hassvoll heiser tönte sein Sarkasmus:

„Schaut!…wie der Geist-der-Schöpfung mir das Schuhwerk reinigt!…“

II. VERGANGENHEIT statt dessen „Sozialismus“ von Hans-Peter Obermaier S.88

1

Nicht Gott schuf Vergangenheit, Tod, und Leiden, 

Sondern der, der Gesetze bricht;

Also – ertrug er die Tage nicht;

Empfand sie als Übel, wollte Erinnerung verdrängen!

2

War er da nicht wie das Kind, im schnellen Wagen, 

Das sagt: „Schau! der Baum

Läuft weg!… in des Waldes Raum… “

– Da doch der Baum steht, und das Kind dahinfährt.

3

Vergangenheit – ist ein heute, nur etwas weiter: 

Hinter den Rädern das Dorf,

Kein so ein irgendwas, irgendwo,

Wo niemals Menschen waren! … 

            ADAM KRAFFT hier statt dessen die Übertragung von Jeannine Luczak-Wild, 181-185

Auch du hast im Spital dein Leben abgeschlossen,

Verstanden von den unbeholfenen Steinen,

Die noch die Menschen heimlich etwas lehren,

Leis klang in ihnen deiner Wörter Echo,

Gaben sie wieder deines Herzens Schlag – –

Auch du starbst im Spital vor Sorgen – traurig:

Als könnt’ man Glauben schenken nur den Steinen,

Wenn sie der Meißel schlägt zu edler Form

Und sie ein frommer Sinn versieht

Mit einem Steingebet …

                                     Solch Steingebet hast du gesprochen –

Und strebst noch weiter, da die Spitze

Schon höher reicht als wie der Kirchenraum,

Und windest deinen Kranz dem Herrn zu Füßen*.

Aus deinen Schultern steigt es auf als Rebe,

Und ihre Trauben sind der Heiligen Gesichter,

Als Bildwerk nicht, vielmehr als Hymnus des Leviten, 

Der vorn die Wache der Altäre hält;

Erguss der Seele, nicht mit Stahl gemeißelt.

Wer es nicht sah, und wem es nicht als Schatten

Aufs ganze Leben als ein Träumethema fiel,

Und wen es nicht bewölkt mit Zittern voll Geheimnis 

Im blauen Hintergrund des zeitlichen Geschehens,

Der kann auch die Besucher nicht verstehen,

Die taumelnd aus dem Bau der Kirche treten –

Und als Prophet, früh aus dem Schlaf gerissen,

Der seine Traumleiter nicht schnell vergessen kann,

Gehst du bezaubert in die Irre,

Und kehrst zurück, den Lehnseid zu erneuern.

Oh großer Meister! recht tust du, die Schultern einzuziehen,

Und auf den Armen zu liebkosen, was du schufst,

Doch seh’ ich, dass sie mit gemeiner Elle maßen,

Was sie um so viel Höhen überstieg:

Dir selber überließen sie die Last,

Dich aufzuheben – denn du gingst aus der Welt.

Oh großer Meister! gabst anderen das Beispiel,

Zu welchen Höhenpfaden sie alleine streben sollen,

Doch wenn die Tat sie sich zur Lehre nehmen,

Mit Cherubflügeln sich erheben weit

Über Lorbeer, Träne, Schlangen-Spott hinaus,

Dann möge höhere Warte sie betrachten

Mit evangelischer Gelassenheit des Mannes.

Und du verzeih, wenn einer der Betrachter

Nachahmt die Töchter von Jerusalem,

Als sie das Tuch im Grab des Herrn sahen,

Und seufzt – und wenn die leeren Mauern wiederholen:

„Auch du starbst im Spital vor Sorgen – traurig!“

Nürnberg, 23. Oktober 1842

*Das Sakramentshäuschen in der Lorenzkirche in Nürnberg, von Adam Krafft gemeißelt, ruht auf den Schultern seines Meisters und zweier Gesellen und steigt an einer Säule bis ans Deckengewölbe, wo es sich zu einem wohlgeratenen Kranz biegt; die Leichtigkeit der gotischen Windungen macht es förmlich zu einer schmiegsamen und verzweigten Rebe, an der gleich Trauben Personen aus den Gleichnissen der Schrift dargestellt sind.

[SECHS FRAGMENTE AUS QUIDAM]

Der du sie sahst, halt dir die Augen zu 

Und sag, was blieb besonders dir im Sinn?

Nicht die Glätte der Stirn, nicht des Haarzopfs Kranz,

Sondern etwas in dem, wie sie sich hielt – allgemein –

Und die Stimme: die setzte süß an im Ton,

Zerperlte dann flüssig – dann wurde sie silbern

Gehämmertes Klingelspiel, und dann gab’s

Etwas darin wie das Quietschen des Griffels!

**

„Die Lyra nimm nicht mit, sie ächzt –

Die Spitzel hören, was sich drin verbirgt,

Zerschlagen sie zu Kreuz, dass jede Saite birst, 

Und Worte berstend von sich gibt

Für alles – was noch etwas wert ist auf der Welt. 

Die Leute werden sehen, wie dieses Sprechen 

Zerrissner Brust ins Himmelsblau entfliegt,

Und werden ein paar Drachmen wetten, ob

Die Sprachsplitter noch Griechenland erreichen?

– – – – – – – — – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ach! ja, so ist es – sag ich dir – alte Kolosse

Sehn still zu ihrem Hain heraus und fliegen –

Orpheus, Homer! – Sieh –”

                                        Und ihr Finger wies

Auf purpurrote Schatten an den Storen:

„Sokrates – hat auf der Stirne Falter oder Laub –

Zeigt mir etwas – so klein ist die Amphore –

Und so groß ist die Welt! – so groß die Schmerzen! –

Und Tod – Schlaf – Schlaf – Tod – –”

**

Wie wenn durch Zeit die Ewigkeit du hörst,

Dabei dem Lärm der Jetztzeit seinen Lauf lässt,

Und nachsinnst, wo du bist, in all der Stille, 

Die großen Inhalt hat, so arm sie wirkt –

Und frei ist von der Eile eitler Dinge,

Und prüfst nur noch, wie viel Gewissen dir

Gewährt ist, und wie viel abzutreten 

Dem Zirkus, wo noch gar kein Kampf geschah:

So zählte Jason, von der Krankheitsmär

Beschirmt, einsam die Auf- und Untergänge – 

**

Die Säulenhalle ist nun leerer Raum – –

Im Alabasterbad der Lampe Licht

Nimmt ab – bleich röten sich die Säulen

Vom Licht, und werden dunkel auf der anderen Seite –

Zuweilen hörst du Stimmen hinterm Gang,

Zuweilen einen Diener träge schlurfen.

Die Lampe,  die todnahe flackert, zuckt,

Da rühren Mosaiken sich am Boden,

Erschüttern Arabesken das Gewölbe,

Als wär der Bau – der Lampe Leib, und sie die Seele.

**

Zwischen dem Frühlicht und dem Schwund der Nacht

Kämpft rosa Strahlenglanz gegen die Finsternis

Wie mit dem Fürsten dieser Welt die Tugend ringt –

Schwach ist der Glanz, aber vertrauensvoll, obwohl etwas ihn ständig täuscht.

Zwischen dem Frühlicht und der Nacht ist ein Moment,

Wo üppige Lohen schwirren, schwarz verhängt,

Bis sie ein schneller Strahl bezwingt.

Der letzte Stern verschwindet da im Himmel,

Und fuchsrot zeigt die Sonne ihre Schläfen –

Und das periodische Gedenken an die Schöpfung

Zeichnet sich ab wie stets seit Gottes Wink.

– In solcher Stunde kehrt’ in seine Wohnung

Zurück der Sohn von Alexander aus Epirus.

**

Mit dieser Überlegung und der Freiheit,

Die eine Vermutung und Erklärung uns verschafft,

Ging Alexanders Sohn voran als junger Mensch

In einer Luft, die das Gewissen angreift,

In einer Luft, die den Geruch der neuen Ära

Samt Salz und Schwefel von der alten in sich hat, 

Geflüster wolkennichtiger Gestalten,

Samt Lärm von Schlachten, die noch kommen und die schmerzen;

In einer Luft, du spürst’s, die lichterloh

Entbrennen kann wie Gottes Ofenbesen,

Kometen rings verschießen – viele Städte

Ausrotten, und viel Menschenasche schaffen.

„Ruhen! ach, ruhen!” – will das Herz dann rufen,

Und sucht umher, wo Halt zu finden wäre:

An jemands Brust ? – der Schwelle einer Kirche?

Doch welcher? – und du fragst, ist eins davon,

Sind alle tot, nur eines kann nicht sterben! – 

In solcher Nacht steht der und jener auf,

Und trällert oder flucht heftig zur Unzeit,

Und solche Wahrheit amüsiert die Leute,

Amüsement – als schmerzensvoller Gram:

Denn Feuer ist das Wort – und Schweigen Lava –

Und glücklich, wer im Dunkeln aufstand,

Und seine Lyra nicht vergebens rührte,

Des Vorscheins Glanz erlebte, und danach

Durchhielt, auch wenn des Tages Müh ihn plagte,

Den Sturm ertrug, der donnernd endet, und – fürs Herz –

Ein Stückchen Regenbogen an die Schärpe steckte.

Noch glücklicher, wer nicht mit Salz gesät hat,

Auch wenn manch salzige Träne er geschluckt.

– Dies aber ist noch nicht der Schluss der Feldarbeit.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Denn wer ein Senfkorn sät, erbittert und erlöst:

Das Senfkorn ist gering und klein wie Pfeffer,

Es gleicht dem Staub, den unser Fuß aufrührt,

Doch wächst es übers Herz, über den Kopf,

Und wird derart zum Bildnis eines Baumes,

Dass drauf ein Himmelsvogel nisten wird.

————————————————-

            LIED VON UNSERER ERDE

Et aux horions, l’on verra qui a

meilleur droit – – 

                         Jeanne d’Arc

                        1

Da, wo der letzte Galgen leuchtet,

Da ist mein Zentrum – meine Hauptstadt,

                        Da meine Burg.

Von Osten – Lügen-Weisheit, Unkultur,

Dressurknute oder Schnappfalle aus Gold,

                        Pest, Gift und Schmutz.

Im Westen – Lügen-Wissenschaft und Glanzeffekt,

Pedantenwahrheit –  Freiheit von Substanz,

                        Und stolzer Stolz!

Im Norden – kommen West und Ost zusammen,

Im Süden – glimmt Hoffnung auf den Zweifel an der

                        Bosheit der Bösen!

                        2

Soll ich mir da das Aug verhüllen, aufs Antlitz fallen

Und rufen: „Ein Hagel Hufen möge mich zerstampfen,

                        Wie Ursprungs-Gras!“ 

Oder die Schultern himmelwärts verrenken,

Zu tragen jedes Sternlein goldgefiedert –

                        Statt Wachen Traum?

Nicht spüren, auf welcher Insel der Vulkane,

Der Tränenlese und der Sammlung schwarzen

                        Bluts ich steh!…

Oder wissen, was das Feuer aus dem Schoß mir brennt?

Wo es hinkriecht? – ab wo es nicht fortschreitet? –

                        Und die Stirn runzeln?

                        3

Hast erst den Geist du aus dem Hirn gewickelt,

Dann warte ich auf dich – ich, dummer Slawe –

                        Westen – du!…

Dir, Osten, gebe ich einen Begegnungs-Tag,

Wenn nicht ein einziges Gewissen mehr vorkommt

                        In deinem Reich.

Süden! du applaudierst mir, wie du applaudierst der Macht;

Dich lass ich aus, du stummer Norden,

                        Ich steh allein auf.

Brüderlichkeit geb ich den Völkern, hab ich erst ausgeweint,

Denn dann weiß ich: mein Eigen ist dies – und das muss ich dulden:

                        Denn ich kenne mich dann.

[*Osten – Russland; Westen – Frankreich; Norden – Preußen; Süden – Österreich-Ungarn; Anm.d.Ü.]

· VADE· MECUM· 

I

Erhoben beifallgeschwollene Hände,

Gelangweilt vom Lied, rief nach Taten das Volk;

Noch immer seufzten ansehnliche Lorbeern,

Und witterten Blitze mit ihren Ästen.

Im Vaterland war es lorbeern und dunkel,

Und nicht mehr, gab es Platz noch Stunde

Für unerwartet Entbundne, Geborne,

Als Gottes-Finger über mir strahlte:

Nicht Rechnung legend, welche Sache er tat,

Hieß er mich leben, in des Lebens Wüste.

                        *

Drum hab ich von euch …oh! Lorbeern – genommen

Nicht ein einziges Blättchen, kein Zähnchen vom Laub,

Außer des Schattens Kühle je überm Haupte

(Was euch nicht gehört, sondern – der nahenden Sonne …).

Habe so von euch nichts, oh! Riesen, genommen,

Als wermut-, moos- und tollkrautverwachsene Wege,

Als fluchverbrannte Erde, und Langeweile…

Ein trat ich einsam, einsam irre ich weiter.

                        *

Unverstandener Vergangenheit Zugewandte

Und tief verehrter – hab viel ich getroffen!

Auf rostige Sporen gestoßen die Ferse,

An Wegen, da manche Kugel geprasselt.

Hab oft die alte Sitte verletzt,

Die dem Morgenrot zu die Zähne fletscht,

Die mit Staub ihr Haupt verhüllt,

Ihre Nacht zu verlängern, ihre Träume zu retten.

                        *

Frauen, verzaubert in tote Formeln,

Traf tausende ich – und Trübsal befiel mich,

Dass so viele Reize ich sah – ungereizt! –

Mit leidenschaftslosem Aug auf sie schauend.

Dieser und jener berührt’ ich die marmornen Hände,

Rührt’ an ich ihre versteinten Gewänder,

Ein nächtlicher Falter flog auf, ihr zu Häupten,

Erbebte und fiel … sie entschritten, träumend.

                        *

Und nichts war’s – was ich von ihnen nahm in mein Inneres,

Stellte mich machtlos zu ihnen, wie sie,

Genau so höflich, und genau so niemand,

Dass immer unverstandener das Glück mir wurde!

– Warum? wozu? – an sattsamem Sonntag

Kam ich zu Gruß und Abschied so vieler?…

Nichts, jedoch, trug ich im Herzen davon, außer dem Kleide –

Fragen euch – will ich, geruh’ ich nicht: Henker!…

                        *

Ich schreibe – so! zeitweis … Briefe per Anschrift 

Babylon nach Jerusalem! – und sie kommen an,

Doch mir ist es gleich, ob die Zustellung klappt

Oder nicht? … ich schreibe – ein Künstler-Tagbuch,

Ein verkritzeltes, in mich gebückt,

Wahnhaft! – aber – höchst wirklich!

………………………………………

                        *

Der Sohn – übergeht die Schrift, doch du wirst gedenken, Enkel,

Was heute schwindet (weil schwunghaft gelesen)

Unter der Herrschaft des Druck-Pantheismus,

In der Amtszeit der bleiernen Letter –

Und wie es geschehen kann auf Römischem Pflaster,

Wo man der Katakomben Gang hat unter den Sohlen,

Zu Häupten Sonne und Tag, sicher sich fühlt im Irrtum,

So, wiederum, wird er lesen, was du heut liest,

Aber meiner gedenken … denn ich werd dahin sein.

VIII. LYRIK UND DRUCK

            1

Du sagst: „Ich singe der Liebe Reim…“

Meinst du? du kannst mich berücken:

Ich spür’ nicht, wie dir die Saite am Finger bebt –

Du bist ein Lyrik-Drucker!

                        2

Nenn nicht die Lyra das Mindere am Lied,

Das, was nur aufspielt!… nein – ihm ist die Lyra,

Was dem lebendigen Adler die Feder,

Unzertrennlich ist’s, bis aufs Blut!

                        3

Den Inhalt – kannst du ohne Lyra sagen,

Doch willst du Geist dem Geist,

Sinn geben dem Sinn – dann ist’s bloß Leib dem Leib,

Was bringt das? – Todesstarre!…

                        4

Auch der Händler gibt wieder geliehenes Geld,

Doch nicht dazu die Feier –

Er drückt nicht die gebotene Hand;

Hättest du ihn denn zum Freunde?

                        5

Oh! mag die Glut des Wortes, und des Inhalts Vernunft,

Und des Gewissens Szepter

Fügen sich musikalischem Bund

Mit jeden Wortes Perle!

                        6

Dann werd’ ich erfahren durch Luft, die bebt

Unter der Geste der leeren Hand:

Dass es leichtere als sichtbare Saiten gibt

Und – Lyren verschiedener Arten.

LXXX. GROßE WORTE 

1

Habt ihr denn auch nach einer Sache gefragt,

Nach einer nur, obwohl sie nicht neu ist!

Nämlich: wo? fällt das Papier ab wie Laub,

Und lässt nur Große-Worte zurück … 

2

Wo? liegt dieser Worte gemeinsames Land, 

Für alle Menschen ein und dasselbe,

Welches nicht endet, sondern stets anfängt –

Vaterland heute für uns, wie für Adam!

3

Sphäre der Großen-Worte, die manchmal

Gar ein erloschenes Jahrtausend durchfliegen,

Hinschlagen an dich, eh’ du noch Glauben schenktest,

Dich treffen wie rostige Pfeilbruchstücke –

4

Jemand sprach sie vor tausend Jahren,

Doch dröhnen sie heute – – und du hinterm Stoß

Gedruckter Bücher wärst willens zu schwören,

Dass – sie dir näher sind in Sinn und Ton.

5

Habt ihr denn nur nach so Wenigem gefragt –

Nur nach dem einen Bücher-Geheimnis,

Ihr Totenschädelflatterfalter,

Denen in Ruinen ich gelbe Kerzen aufstelle?… 

6

Fragtet ihr denn, warum Cicero,

Paulus, Sokrates? mit ihren paar Worten

Leben… bis heute den Atem dir rauben,

Und du ihnen, ungern zwar, Glauben schenkst?

7

Deine Bücher jedoch, trotz der goldenen Lippen

Der Pergamentpapierblätter, und deine Journälchen

Mit ihren elektrischen Schreien und Klagen

Erlöschen – wie rührende Kerzlein am Mittag?

8

Und du brüllst: „Heute!“ – du, dessen Krone

Heute in längst verstorbenen Händen ist,

So wie der Ast, der Absaloms Haar ergriff,

Und ihn und die Seinen anknarrte: „Zwerge!“.

XXXV. IRONIE statt dessen Hans-Peter Hoelscher-Obermaier S. 89 f.

1

Könnte man doch ein großes Werk

Grobem Stein mit dem Meißel entheben,

Und müsste der Meißel knirschen nicht,

Der Hammer nicht anhaltend schlagen und schlagen!… 

2

Könnte man doch mit bloßem Hauch der Harmonie 

Die Achsen der Wagen drehen,

Und ohne das Rückwärts-Knarren der Ironie 

Könnte man’s schaffen, etwas zu machen… 

3

Ach! wie sanfte schliefe der Mensch, der 

Überm Lamento, dem ständigen, stünde,

Doch wie? – wenn ihm noch an den Lidern

Dreist ironische Träume nisten!!… 

4

Gefühl besucht ohne Ironie

Wege, die fremdes Leiden geschlagen,

Doch wer dort eher war, weiß von ihr,

Sie ist – der notwendige Schatten des Seins.

5

Du denkst vielleicht, dass die goldene Zeit

Kampflos, selbst, kommt zu der Menschheit –

Ach wo?… aber führen wohl sonst die Tugenden hin,

Schreckgespenster der Lächerlichkeit!

XXX. FATUM statt dessen Jean Paul d’Ardeschahs Übertragung

I

Wie ein wildes Tier kam einst das Unglück zum Menschen,

Versenkt in ihn seine fatalen Augen… 

– Lauert – – 

Ob, der Mensch, weiche?

II

Doch er starrt’ zurück, wie ein Künstler

Misst die Form des Modells,

Und es merkte, er schaute – was? er gewönne

An seinem Feind:

Da wankt’ es in ganzer gewichtiger Gestalt

– – Und fort war’s!

XCII. ZIERAT

Einst dacht’ ich, dass Lyra und Stil,

Wie der Schwan von der Welle getragen,

Der nicht den Weg, nicht die Stunde berechnet,

Doch ihr Ziel in sich haben – Werkzeuge sind!

                        *

Einst dacht’ ich – wenn kein Sein hat das Volk,

Und wenn dem Worte die Luft fehlt,

Dann berührt den Zenith des Großdichters Schlüssel,

Und schon strömt der Welt eine leichtere Aura.

                        *

Ich – hab’ gedacht, jede Saite weiß,

Wann? sie soll tönen was? und wo?

Und dachte, die Unstimmigkeiten,

Durch ihre Balsame verschwägert,

Bewirken – dass wir verspätete Wahrheit nicht haben –

Verspätet für reizbare Weichheit.

                        *

Ich dachte! – Große Dichter gäb’ es so viel,

Wie schmerzende Wunden? – und die würden

Mittels Wundern-von-Form zu gegebener Zeit

Verbunden und rasch kuriert – – –

                        *

Ach! … ich irrte und war selber krank:

Mehr lockt doch ein andres die Lyren –

Für die Wahrheiten sind sie … was am Fenster die Stores,

Sie halten die Strahlen ab,

Die das Gemälde ausbleichen

Mit seinen malachitnen Paysagen,

Mit seinen Quellen von Amethyst,

Mit seinen Hirtinnen in Gaze…

Mit seiner Erde…die Erd’ nie berührte!

                        *

Sie träumen: die Scheibe?…das ist ein Parkett!

Sie trällern: „Ohne Rückhalt gib dich

In Phantasias Arme voll Reiz…“

                                               – – – Zierat – Zierat!!

AUF DEN TOD DER POESIE

                (ELEGIE)

Sie ist nun tot! … gibt es schlimmere Tode?

Und wie die hübsche Person begraben?

Sie starb an den Folgen schwerer Krankheit,

Die da heißt: Manuskripte und Honorar.

Du erinnerst dich gut an die schreckliche Stunde,

Als ich versonnen an ihrem Lager stand,

Mit großer Träne im Aug, und suchte, ob das,

Was im Sterben hier lag, Geist oder Leib war?

Sie aber (die Poesie), hob ihren bleichen

Arm zum Fenster, wies mich an,

Das Licht zu dämpfen, das ihr ein Lächeln vorlügt,

Ihr schien der Lenz in die Augen zu spotten.

Ich weiß nicht, bemerkt’ ich die Wunde, das Zeichen

Unterm Schatten der linken Brust, als sie zuckte?…

Oh, ich war traurig, wie seither nie mehr,

Denn ich hab meinen Friedhof hier, pflücke Blumen darauf.

Tot ist sie also (die Poesie), die große

Vermittlerin zweier konträrer Gebiete –

Der Ozean Brunst, und das Tröpfchen Tau –

Diese Monarchin und Handwerkerin –

Sehr exklusiv und zugleich allerwelts,

Großer Blitzstrahl und friedliche Täubin …

Und nun sind die, deren Handwerk begraben

Heißt, da, die Erhabene mit Sand zuzuschütten!

Seither geh’ ich in der großen Kirche des Schweigens

Über den glatten Boden dahin,

Berühr’ aber nie ihr Grab…vielmehr tret’ ich

Gerne denen aufs Werk, die den Friedhof mit Sand eingeebnet,

Bis sich besinnen die Gedankenvernichter,

Und beruf einen Blitz, dass er krachend einschlägt,

Wissend, dass Feuer für Leute ohne Feuer,

Vielleicht im Kiesel schläft, aber im Himmel erwacht.

LI. MORALGESETZE

I

Der Liebende – ist unbedingt Künstler,

Steht er auch nackt wie Herkules da;

Auch Moral ist nicht nur persönlich:

Es gibt auch eine andere – Körperschaften-Moral.

II

Zwei Tafeln gab es – zwei! – wahres Wunder: 

Die eine – herrscht heut noch als All-Gewissen, 

Die zweite – zerschellte in ganzem Stein

An der Härte des Volkes.

III

Von der ersten? – haben wir Grundriss und Kraft, 

Hand anzulegen an begonnenes Werk,

Aber – die Splitter der zweiten

Ragen unter den Völkern der Völker

Wie verstreute Menhire*!

IV

Vor der ersten?… wird jeder und jeder – zur Schar! 

Doch – soll die andere erstehen,

Ver-Moses-en sich unsere Stirnen,

Erbrennen unsere Wangen im Glanz.

– Ein riesiger Wind weht, wie auf des Sinai Gipfel,

Echos schlagen, Donner und Blitze;

Du spürst, du hast das Leben berührt… 

Als du Splitter vom Gesetz in die Hand nahmst.

V

Bis der Tag kommt… da der Zorn, der die Tafeln zerschlug,

Zum Feuer wird, welches erschafft:

Wird das Verstreute zusammentun

Und ein heiteres Antlitz zeigen.

*Menhir – ein hoher Druidenstein.

XCIX. CHOPINS FORTEPIANO

                                                           AN ANTONI C… .

La musique est une chose étrange!

                      Byron

L’art?… c’est l’art – et puis, voilà tout.

                      Béranger

I

Nah war ich Dir jene vorletzten Tage 

Unergründeten Inhalts – –

– Mythengleich voll,

Dämmrungsgleich blass… 

– Da raunte des Lebens Ende dem Anfang zu: 

„Ich zerrütte dich nicht! – nein! – Ich, mache dich deutlich!…“

II

Nah war Dir ich jene vorletzten Tage,

Als Du Dich anglichst – je länger, je länger –

Orpheus’ Lyra, als er sie fallen ließ,

In welcher des Stürzens Schwung ringt mit dem Liede,

Und es besprechen vier Saiten sich,

Stoßen sich an,

Zu zweit – zu zweit –

Und murren leise:

„Schlug er denn

Den Ton schon an?..

Ist er so groß!… dass er spielt… obwohl er – fortstößt?…“

III

Nah war ich Dir jener Zeit, Frédéric!

Und Deine Hand hat… in ihrem so weißen 

All-alabasternen – Greifen – und Walten –

Mit wehendem Anschlag wie Straußenfedern 

Meinen Augen der Klaviatur sich vermischt, 

Der elfenbeinernen… 

Und Du glichst jener Statue, die 

Aus Marmors Schoß,

Eh’ sie gehauen,

Herausnimmt der Meißel

Pygmalions – des ewigen Genius!

IV

Und in dem, was Du spielt’st – und was? sprach Dein Ton – und was? wird sagen

Dieser Ton bei anderen Echos,

Als da Du gesegnet mit eigenen Händen

Akkord um Akkord hast –

Und in dem, was Du spielt’st: war solche Schlichtheit

Perikleischer Vollkommenheit,

Als ob eine Altertums-Tugend

Einträt’ ins Landhaus aus Lärche,

Und spräche hier zu sich selber:

„Im Himmel bin ich wiedergeboren

Und ward mir zur Harfe – die Holztür,

Zur Schärpe – der Feldweg… 

Die Hostie – seh’ ich im bleichen Getreide… 

Emanuel wohnt schon

Auf dem Tabor!“

V

Und war darin Polen, dem Zenit der

Allvollkommenheit der Geschichte

Entnommen, verzücktes Spektrum – –

Polen – Land der verklärten Radmacher!

Dasselbe, ganz

Goldes-Biene! … 

(Wieder erkenn ich’s noch – an den Grenzen des Seins! … )

VI

Und – da – hast Du Dein Lied beendet – – und nun werd’ ich

Dich nicht mehr sehen – – aber – ich höre:

Etwas?… wie Kinderstreit – –

– Da streiten sich doch noch die Tasten

Um unausgesungene Lust:

Stoßen heimlich sich an

Zu acht – zu fünft –

Und murren: „Begann er sein Spiel? oder stößt er uns fort nun??…“

                        VII

O Du! – die du der Liebe Profil,

Deren Name Erg ä n z u n g;

Das – was in der Kunst heißt Stil,

Weil’s durchdringt das Lied, Steine bildet… 

O! Du – die in der Geschichte heißt Ära,

Wo aber nimmer Historias Zenit ist,

Du heißt zugleich: Geist und Letter,

Und „consummatum est“ … 

O! Du – Vollkommene-Erfüllung, 

Welches immer und wo? ist Dein… Zeichen… 

In Phidias? In David? oder in Chopin? Oder in Aischylos’ Bühne?..

Immer – rächt sich an dir: Mangel!…

– Erdballs Prägung ist – Lücke:

Ergänzung?… schmerzt ihn! …

Er – will beginnen,

Will lieber immer ausstreuen – das Geld für den Abschlag! 

– Die Ähre?… wenn sie reif ist wie goldner Komet, 

Muss nur ein Wind sie bewegen,

Da stäubt sie schon einen Weizenkornregen,

Die Vollkommenheit selbst zerfegt sie… 

VIII

Hier nun – sieh, Frédéric!… da ist – Warschau: 

Unter entbranntem Gestirn

Seltsam grell – –

– Sieh, die Orgel der Pfarrkirche; sieh! Deine Stätte: 

Hie und da – Patriziergebäude, alt

Wie die publica-res,

Das Pflaster der Plätze dumpf und grau,

Und Sigismunds Schwert in Wolken.

IX

Sieh!… aus Gassen in Gassen

Jagen Kaukasierpferde,

Wie vorm Gewitter die Schwalben

Schnellen sie den Regimentern voran,

Zu Hauf – zu Hauf – –

– Ein Bau fasste Feuer, es erlischt,

Flammt auf – – und hier – an der Mauer

Seh ich die Stirnen von Witwen in Trauer,

Von Kolben getrieben – –

Und sehe, obwohl vom Rauch geblendet,

Wie durch die Säulen oben

Etwas wie Sargeskasten

Geschoben wird… und stürzte… stürzte – Dein Fortepiano!

X

Es!… das Polen gekündet, dem Zenit der 

Allvollkommenheit der Geschichte

Entnommen, Verzückungshymnus –

Das Polen – der verklärten Radmacher;

Es selbst – stürzte – auf Pflasters Granit!

– Und siehe: wie trefflicher Menschen-Gedanke 

Zerspellt wird vom Wüten der Leute

Oder wie – ewig

Und ewig – alles, was aufweckt! 

Und – siehe – wie den Leib des Orpheus,

Tausend Passionen reißen so es in Stücke;

Und jede heult: „Nicht ich!…

Nicht ich!“ – knirscht jede die Zähne –

*

Doch Du? – doch ich? wir schlagen Gerichtsgesang an, 

Und rufen: „Freu dich, später Enkel!…

Aufseufzten – dumpfe Steine:

Das Ideal – erreichte das Pflaster – –“