Rolf Fieguth
Sturm und Zephyr. Zur Poetik der Kontraste und Paradoxe in der Komposition der Oden oder Lyrica in vier Büchern (1787) von Franciszek Dionizy Kniaźnin.
Der vorliegende Beitrag zu Kniaźnins Ody, czyli liryków cztery xięgi (fortan Oden) ist ein weiteres Teilstück eines größeren Projekts über die Komposition der Gedichtzyklen und Gedichtsammlungen dieses Dichters. In einem ersten Schritt sollen die Oden in ihrem eigenartigen Oeuvrezusammenhang mit zwei früheren Gedichtsammlungen gezeigt werden, in einem zweiten Schritt wird die Kompositionstechnik der Paradoxe und Kontraste der Oden in einem Durchgang durch ihre vier Bücher demonstriert, und zwar im Zusammenhang mit einer spezifischen Erhabenheitsproblematik. Anschließend werden die «Personenkonstellation» und ausgehend davon die Grundzüge der Gesamtprogrammatik der Oden skizziert, die um ein vielschichtiges Konzept von Freiheit kreist.
Von den Erotyki zu den Oden
Der umfangreiche Zyklus Erotyki 1779 (371 Gedichte in zehn Büchern) wies ein ausgesprochenes Rokoko-Gepräge auf, das sich u.a. in zahlreichen kompositorischen Paradoxen und Pointen äußerte. Kniaźnin negiert dieses Werk wenig später durch seinen Band Wiersze (1783), der sich aus zwei Gedichtsammlungen zusammensetzt, die beide aus Erotyki abgeleitet sind und dennoch einen deutlich sentimentalistischen Charakter aufweisen – den Krotofile i MiΩostki (74 Gedichte in drei Büchern), und den Żale Orfeusza nad Eurydyką (24 Gedichte). Im Fall der Krotofile wird die sentimentalistische Ausrichtung weniger durch Textveränderungen an den aus Erotyki übernommenen Gedichten erzielt, als vielmehr durch die besondere Auswahl der Texte (vor allem Idyllen und verwandte Genres), durch die Reduktion des Umfangs der Sammlung, durch die Beseitigung fast aller metapoetischen Akzente, und nicht zuletzt auch durch Dezyklisierung, d.h. durch die Beseitigung zyklusbildender, insbesondere quasi-narrativer Momente. Die 24 Żale bestehen zwar zum größten Teil aus neuen Gedichten, gehen aber thematisch aus einer kleinen Serie in Erotyki (8.33-8.38) hervor. Sie bilden im Unterschied zu den Krotofile einen Gedichtzyklus, dessen sentimentalistischer Charakter in dem gegenüber Erotyki verstärkten und konzentrierten quasi-narrativen Moment, in der befremdlich konsequenten «Pastoralisierung» des traditionsgeheiligten Orpheus-Eurydike-Themas und insbesondere in einer radikalen Ton- und Farblosigkeit der Verstexte liegt, die zum adäquaten poetischen Ausdruck bodenloser Trauer und Depression wird. Die Żale können als unausgesprochenes «viertes Buch» der Krotofile i Miłostki gedeutet werden, mit denen sie durch gemeinsame Motive, namentlich aber auch durch den Kontrast in der Gesamtstimmung und in der Kompositionsdichte verbunden sind.
Hatte schon die Publikation der Wiersze (1783) den Charakter einer rückwirkenden Negation der Erotyki 1779 und damit eines Aktes der Selbstverneinung, so ist der folgende Schritt ein Akt der Werkvernichtung: Kniaźnin kauft die Auflage der Wiersze auf und lässt sie vernichten. Nur ein oder zwei Exemplare sind erhalten geblieben. 1787 publiziert er eine dreibändige Ausgabe seiner Werke; der erste Band enthält die Gedichte (Ody, czyli liryków xięgi cztery) sowie, unmittel darauf folgend, die “zweite, gekürzte und verbesserte” Version des Zyklus Żale Orfeusza nad Eurydyką.
Der erste Band der Werkausgabe von 1787wiederholt in einem wichtigen Punkt die Grundstruktur der Wiersze von 1783: er fasst den Hauptteil der Gedichte in einer nichtzyklischen Komposition zusammen (diesmal vier statt drei Bücher), der dann zu dem nachfolgenden, ostentativ komponierten Zyklus Żale Orfeusza in einer gewissen Opposition steht. Darüber hinaus aber strebt sie einen völlig anderen Charakter an, als ihn die früheren Gedichtausgaben aufwiesen, insbesondere die Krotofile. Die Oden von 1787 entziehen sich einer Zuordnung zu einer der Strömungen Klassizismus, Rokoko, Sentimentalismus, die sonst das Bild der polnischen Poesie jener Zeit prägen. Die in ihnen besonders ausgeprägte Poetik und Kompositionstechnik der Kontraste und Paradoxe erinnert zwar in Manchem an Strukturen der Barockpoesie, aber von einem Barockgepräge sind die Oden sehr viel weiter entfernt als die Erotyki.
Sucht man nach den wesentlichen Unterschiede gegenüber den Krotofile von 1783, so fällt unter anderem auf: Der Umfang der vier Bücher Oden hat im Vergleich zu den Krotofile 1783 wieder deutlich genommen, von 74 Gedichten in drei Büchern auf 107 Gedichte in vier Büchern. Die radikale Umfangsreduktion der Wiersze von 1783 im Vergleich zu den Erotyki 1779 ist also zum Teil zurückgenommen. Ferner ist das kohärenzbildende Mittel der hierarchisierten Personenkonstellation, das in den Erotyki eine weitaus wichtigere Rolle gespielt hatte als in den späteren Krotofile, in den Oden reaktiviert worden, allerdings ohne die Konstruktion einer mythologisch-literarischen Parallelwirklichkeit; dagegen bleibt das narrative Element, das in den Erotyki 1779 vielfältig ausgeprägt gewesen war, ähnlich reduziert wie in Krotofile 1783. Besonders fällt auf, dass in den Oden die poetische Autoreferentialität wieder eingeführt wird, die in den Erotyki in hohem Maß präsent gewesen und in den Krotofile 1783 im Sinne eines sentimentalistischen Verbergens der Kunstmittel fast vollständig beseitigt worden war. Völlig neu im Verhältnis zu den Erotyki ist allerdings Auffassung von den Aufgaben des Dichters. In nicht wenigen metapoetischen Gedichten wird der Auftrag des Dichters und seiner Lyra beschworen, dem Ruhm Gottes, der Förderung der Tugend und der Stärkung des patriotischen Gedankens zu dienen. Im Zusammenhang damit ist eine völlig neue Distribution der lyrischen Gattungen und Stilhöhen zu konstatieren. Dieses Problem wird verdeckt durch die Einheitlichkeit des Gattungsnamens “Ode” für alle lyrischen Texte dieser Ausgabe. Tatsächlich verbirgt sich unter diesem Namen Allerverschiedenstes, und die auffälligste Eigenschaft dieser Ausgabe sind die schneidenden Kontraste zwischen Gattungszugehörigkeit, Stilhöhe und Thematik der aufeinanderfolgenden Gedichte. Es ist auch in den Oden wieder fast alles vertreten, was man aus Kniaźnins bisheriger Lyrik kannte, alle Gattungen der “leichten Poesie”, darunter einige wenige Elegien, dieses und jenes Trinklied und viele Idyllen verschiedenster Art, darunter auch nicht wenige mit Liebesthemen und den üblichen kupidinischen, venerischen und bacchischen Motiven. In diesem Bereich fehlt aber ein sehr wichtiges Element: die Anakreon-Nachdichtungen, die in den Erotyki äußerst zahlreich, in den Krotofile schon in reduziertem Umfang vorkamen. Hier findet sich nun keine einzige mehr vor, und auch sonst gibt es nur noch verschwindend wenige ausgesprochene Nachdichtungen fremder Kunstdichter. Neu hinzu kommen aber die Psalmenparaphrasen und die geistlichen Gedichte.
Kniaźnin hatte in den Erotyki 1779 durch seine zahlreichen Anakreon- und Horazparaphrasen mehr oder weniger offenkundig den Ton von Kochanowskis Fraszki (‚Anakreontika’) und von Kochanowskis Pieśni (Horazparaphrasen) gleichsam ’aufgehoben’; analog war er bei seinem Zyklus Żale Orfeusza mit Kochanowskis Treny verfahren. In der neuen Sammlung der Oden beerbt Kniaźnin nun willentlich Kochanowski auch als Psalmendichter und poetischen Mahner und Kritiker seiner Nation. Es ist durchaus möglich, dass Kniaźnin das Vorbild Kochanowskis vor Augen hatte, als er die ostentativen Widersprüche zwischen dem sublimen Nachsänger Davidscher Psalmen und staatsbürgerlichen Moralisten und dem Dichter sehr unerhabener Anakreontika und Erotika förmlich zum Konstruktionsprinzip seiner vier Bücher Oden erhob.
In der neuen Sammlung übernehmen die Psalmenparaphrasen strukturell etwa die gleiche Rolle, wie sie die Anakreontika sowie die zahlreich unter dem immer gleichen Titel “Pasterka” über die Erotyki verteilten Hirtengedichte gespielt hatten. Die Psalmen und anderen geistlichen Gedichte sind thematisch und in der moralistisch-didaktischen Wirkungsabsicht mit einer hier reich vertretenen Gattung verbunden, die man als eine Abart des Panegyrikons mit deutlichen paränetischen Ansätzen und patriotischen Themen bezeichnen kann.
Kontraste, Paradoxe und die Experimente mit einer neuen Erhabenheit
Die neue Sammlung wird eingeleitet durch ein kurzes Vorwort. Alle vorhergehenden Sammlungen, namentlich die Erotyki, werden darin als ungültig erklärt und vom Autor verworfen; nur die Gedichte dieser Sammlung sollen gelten.
WciągnaΩem tu niektóre i z dawniey wyszΩych, co poprawić, lub przerobić moz˙na byΩo, tak dalece; iz˙ nie umieszczonych w tym zbiorze nie chciaΩbym mieć za swoie […] Wstyd mię przeszΩych Edycyy, à osobliwie biednych owych Erotyków, gdzie vox, vox, praetereàque nihil. Pióro tam suche, dziecinne, bez siΩ, i bez tego wszystkiego, co wiek STANIS∫AWA ozdobnym czyni.
Der vielleicht wichtigste Satz der Vorrede bezieht sich auf die “Kraft” und die “Zierden der Ära StanisΩaws”, die den Erotyki völlig gefehlt haben sollen und die, so muss man folgern, in der neuen Sammlung reichlich vertreten sein werden. Tatsächlich experimentiert Kniaźnin hier erstmals in aller Offenheit mit dem erhabenen Stil, wobei er in einem für ihn neuen Ausmaß geradezu bizarre Kontraste zu Gedichten in seinem bisherigen “leichten” Stil herstellt. Unabhängig von einer ästhetischen Wertung dieser Kontraste kann festgehalten werden: sie entspringen bei diesem erprobten Virtuosen der Anordnung von Gedichten bewusster Absicht, und sie weichen von dem sentimentalistischen Stilideal der sanften Übergänge und der Vereinheitlichung des Tonfalls deutlich ab, wie es in den Wiersze 1783 verwirklicht worden war.
Eine der Funktionen der besagten Kontraste ist es sicherlich, e contrario die von den ernsten Gedichten ausgehenden Erhabenheitseffekte hervorzutreiben, denn auch der Stil der ernsten Gedichte entzieht sich oft genug den konventionellen Vorstellungen von Erhabenheit. Ohne Berücksichtigung dieser kompositorischen Kontrastbildungen stößt jedenfalls eine befriedigende Definition des spezifisch Kniaźninschen Erhabenheitsstils auf erhebliche Probleme. Ferner aber steht diese kompositorische Kontrasttechnik in offenkundigem Zusammenhang mit einer spezifisch Kniaźninschen Freiheitsproblematik, die im Verlauf dieser Studie noch weiter zu entfalten sein wird. –
Im Folgenden sollen nun Beispiele für kompositorische Paradoxie- und Kontrasteffekte im Zusammenhang der Gesamtkonzeption des jeweiligen Buches präsentiert werden.
Als ein Hauptthema von Buch I darf “die rechte Panegyrik” bezeichnet werden (vgl. 1.6 Do Józefa Szymanowskiego na Panegirystów sowie 1.11 Do Karola Berkena), das heißt eine solche, die sich die richtigen Heldinnen und Helden aussucht (nicht Octavius, sondern Titus). Die manchmal scheinbar willkürlich eingesprengten Erotika sollen offenbar den allzu hohen panegyrischen und erhabenen (11 erhabene Gedichte) Ton relativieren, vermenschlichen und vor allem die Freiheit des Dichters gegenüber den Adressaten seiner Panegyrika signalisieren. Ein Paradoxieeffekt kommt erstmals zustande im Zusammenhang mit der erhaben-panegyrischen Ode 1.7 Cedr. Do Xcia Augusta Czartoryskiego, Woiewody ruskiego auf den Vater von Kniaźnins Brotherrn; der Adressat wird hier als hoher Baum in der Einöde geschildert, der allen – scil. historischen – Stürmen standgehalten hat. Dieser erhabenen Ode in neun gravitätischen Strophen (Format 6×11) folgt 1.8 Do Elmiry mit sieben leichten Strophen (Format 4×8) im Stil der elegisch-erotischen Poesie:
Kędyz˙eś, Elmiro miΩa?
O kim myśl twoia w tey dobie?
Obyś tak do mnie tęskniΩa,
Jako ia tęsknię po tobie!
[…]
Zefirze! Lecisz w te strony,
Gdzie moia zorza się pali:
Odwiedz ten lasek zielony,
Gdzieśmy się z sobą z˙egnali.
Pamiętasz pod owym drzewem
Sπwiadki serc naszych te cienie;
Gdzieś miΩym chΩodziΩ powiewem
ZΩączone ustmi pΩomienie
[…]
Der erhabenen Zeder und dem «wicher szalony» (dem wahnsinnigen Sturm, der alle anderen Bäume gefällt hat) von 1.7 stehen hier der Baum der Liebe und der erotische Zephyr gegenüber. Der Zusammenprall eines Panegyrikons mit einem erotischen Tändelgedicht mag geschmacklos erscheinen, hat aber einen einsichtigen Sinn: hier wird signalisiert, dass der Dichter frei ist, sich aus der Sphäre des Panegyrikons nach eigenem Belieben in die Sphäre der privaten Gefühlspoesie zurückzuziehen; allerdings soll hier zugleich wohl auch die freiwillige Neigung des Dichters zum Adressaten seines Panegyrikon mit seiner freiwilligen Neigung zu Elmira parallelisiert werden.
Dieser merkwürdige Kontrast ist auch deshalb kein Zufall, weil er in gleicher Weise bei der Mehrzahl der Psalmenparaphrasen in den Büchern I und III angestrebt wird: Die erste explizite Psalmenparaphrase ist I, 12 Bez Boga nic. Psalm Dawida 126 (incipit: “Bóg-li domu nie zbuduie, / Daremno nad nim rzemieślnik pracuie”; Strophenform 8+3×11). Der Psalm hat für die Grundkonzeption des ganzen Bandes einige Bedeutung, denn ein zentrales Thema ist hier “der Bau des polnischen Hauses”, und dafür ist Gottes Beistand erforderlich. Diesem ernsthaften und per se “erhabenen” Psalm folgt neuerlich unmittelbar ein höchst unerhabenes offenkundiges Privatgedicht I, 13 O Elizie in drei für die leichte Poesie typischen Strophen (2x(10+8)) über die launischen Capricen der geliebten Frau. Hier kommen Motive aus der Psalmparaphrase wie ein parodistisches Echo vor: Die erste Strophe
Eliza wczoray ostro spóyrzaΩa / Moz˙em daΩ powod urazy. / CisnęΩa wiankiem rączka iey biaΩa; / PrzygryzΩa wargę pięć razy
bezieht sich eigentümlich zurück auf die letzte Strophe des Psalms
Szczęśliwy co z tamtych stanu / Żądania swoie ma speΩnione w Panu! / Nie zalęknie się; śmiaΩe trzyma ramię, / Do nieprzyjacióΩ kiedy mówi w bramie.
Dass der von Elizas Launen Tyrannisierte nachts nicht schlafen konnte (“I noc tę caΩą nie spaΩem”), bezieht sich gleichfalls paradox zurück auf die Psalmstelle
Jez˙eli pan´skiey nie macie pomocy, / Na nic się przyda wstawać o póΩnocy.
Es ist Kniaźnin hier durchaus der Nebensinn zuzutrauen, dass die Launen von Eliza eben nur mit Gottes Hilfe ertragen werden können. Ähnliche Effekte sind in dieser Sammlung an der Tagesordnung. 1.16 o Klimenie wiederholt die Strophenform 2x(10+8) von 1.13 o Elizie, und auch das Motiv des Leidens unter der Laune der Frau, diesmal Klimena (incipit: “Ah, ona, widzę, nieubΩagana!/ I okiem rzucić nie raczy. / Ta zimna na iey twarzy odmiana /Wyrok mey daΩa rospaczy”). Dieses Privaterotikon strahlt aus auf die nachfolgende patriotisch-erhabene Ode auf die Jahrhundertfeier der durch polnische Militärhilfe gelungenen Entsetzung Wiens von türkischer Belagerung 1683 (1.17 Na Stoletni Obchód Zwycięstwa Jana III. pod Wiedniem; Strophenform 6×11). Aus der kompositorischen Verflechtung ist unabweislich der Schluss zu ziehen: Europa ist undankbar gegen Polen, das es dereinst vor den Türken errettet hat, so wie Klimena undankbar ist gegenüber dem Liebeswerben des Dichters. Man könnte hier wohl von einem kompositorischen concetto sprechen.
Kontrast- und Paradoxiebeziehungen dieser Art sind besonders charakteristisch für das 1. Buch, wo auch der Anteil an Gedichten im erhabenen Stil besonders hoch ist. Die Kontraste und Paradoxe nehmen an Zahl und Intensität im 2. und 3. Buch ab, kehren aber in variierter Gestalt im 4. Buch zurück.
Das zweite Buch beginnt wie das erste mit einem autoreferentiellen Gedicht, 2.1. Rozwaga nad Rozumem i Sercem, das die «Leichtigkeit» der Strophenform (2x(7+6)) mit einem depressiv-elegischen Ton verbindet; der stilistische Unterschied zum Anfangsgedicht des ersten Buchs, der gleichfalls autoreferentiellen Ode 1.1. Do Boga, ist erheblich. Der thematische und formale Sprung von 2.1. zum panegyrischen Gedicht auf die Geburt eines Czartoryski-Söhnleins (2.2. Na Urodzenie Xcia Konstantego Czartoryskiego, GeneraΩowicza Podolskiego, Strophenform 3×11+5) ist zwar nicht unerheblich, aber durch elegische Töne sehr gemildert. Solche milderen Übergänge kennzeichnen das ganze Buch, und nur zwei Kontraste der oben beschriebenen Art sind hier zu verzeichnen: Das leichte Gedicht über die Capricen einer Irena (2.20 o Irenie, Strophenform 4×8) stößt hart mit einer Ode über die Größe Gottes zusammen (2.21 o Wielkosci Boga; Strophenform 6×11). Etwas weniger auffällig ist die Kollision zwischen dem autoreferentiellen Depressionsgedicht 2.23 Do Piotra Borzęckiego mit dem ausgesprochen rokokohaften Tändelgedicht 2.24 Do Rozyny; sie ist gleichsam versteckt im gleitenden Übergang zwischen der für ein ernsthaftes Gedicht eher untypischen Strophenform 3×8+5 von 2.23 und der für die leichte Poesie sehr typischen Strophenform 4×8 von 2.24.
Das dritte Buch weist dagegen wieder etwas mehr Kontraste der beschriebenen Art auf. Der Initialtext 3.1. Do Lutni ist in Stil (3 Strophen im Format 4×8+2x(10+8)+4×11) und Thematik ein poetologisches und autoreferentielles Erhabenheitsgedicht und schließt deutlich an 1.1. Do Boga an; beide stehen in einer positionellen Analogiebeziehung (Intialtext eines Buches), thematischen Ähnlichkeitsbeziehung (poetologisch-autoreferentiell) und einer formal-stilistischen Kontrastbeziehung zu 2.1. Rozwaga…. Die Laute wird in 3.1. mit “Ducha boskiego udziale” (o du Anteil göttlichen Geistes) angesprochen; sie singt tönend die Größe des gnädigen Gottes (“Ty zabrzmisz wielkość Ωaskawego Boga”). Thematisiert wird Gott als Erschaffer der Welt, aber auch als Vernichter des Verbrechens und des Todes (“Jak zgΩadziΩ zbrodnię, à śmierć umorzyΩ / Sam równym sobie plemieniem”) und als Sieger über die Kräfte des Bösen, Luzifer und seine abgefallenen Engel. Anklänge an die Miltonsche Erhabenheit sind unüberhörbar. Allerdings umfasst der «reizende» (uroczne) Lautenklang alle Stimmungen des menschlichen Lebens:
Brzmienia twoiego uroczne tknięcie / ZmysΩami memi rozrządza; / PosΩuszne twoiey we wszem ponęcie, / Jak wdziękom miΩość i z˙ądza./ Co chcesz, przyimuię: z˙al, tęskność, nadzieię. /Zapalisz? gorę: rozrzewnisz? Ωzy leię. / W miarę twych dźwięków smutną lub radosną, / Uczucia tkliwych namiętności rosną.
Nur hinweisen kann ich an dieser Stelle auf den kryptopatriotischen Nebensinn des Satzes “Co chcesz, przyimuię: z˙al, tęskność, nadzieię”.
Man kann aus diesen poetologischen Formulierungen eine poetische Rechtfertigung der hier in Rede stehenden Kontrastpoetik herauslesen, denn immerhin werden hier parallelisiert: die Ergebung in den Geist Gottes, der Klang der Laute als “Anteil göttlichen Geistes”, die Abhängigkeit der Sinne und Stimmungen des Dichters vom Klang der Laute, die Abhängigkeit der Liebe und der (erotischen) Begier (z˙ądza) von den Reizen (wdzięki, griech. erotes, lat. amores). Alle diese erhabenen und weniger erhabenen Stimmungen koexistieren in der Seele des Dichters. Aber dieser Sachverhalt ist dermaßen in den allgemeinen Erhabenheitsduktus des Lautengedichts eingebaut, dass er keinerlei unmittelbare Paradoxiewirkung erzeugt, auch folgt in der 3. Strophe die auf “Miltonsche” Weise erhabene Schilderung von Gottes Sieg über die Hölle, der mit erheblicher Geräuschentwicklung verbunden ist (“Z haΩasem, waśnią, zgrzytem, wrzawą, szumem”).
Umso stärker ist dann der erhebliche Kontrast dieser erhabenen und geräuschvollen Ode 3.1. zu dem vollkommen “lautlosen” 3.2. o Motylu:
Róz˙ne skrzydeΩka koΩysaΩ,
Juz˙ iemu i Ωąk nie staΩo:
Wszystkie kwiatki powysysaΩ.
Motylu! ieszcze ci maΩo.
Dla ciebie ta róz˙a pΩonie,
Dla ciebie iacynt omdlewa;
Ty w dzikie kędyś ustronie
Od kwiatów lecisz na drzewa.
Cóz˙ tam poczną chęci pΩoche?
Na dębie spróchniaΩym siada.
Cóz˙ dalej? PodumaΩ trochę:
StrząsΩ się, i w krzaki zapada.
Mit seiner schlichten Strophenbildung 4×8 und seiner vollkommen unerhabenen Wortwahl (“motyl, skrzydeΩka, kwiatki, powysysaΩ, trochę”) wirkt das Gedicht zunächst wie ein beliebiges Beispiel leichter, anakreontischer Poesie. Auch hier möchte der unvoreingenommene Leser zunächst wohl glauben, diese Zusammenstellung von 3.1. und 3. 2. sei vollkommen absichtslos. Dem ist indessen nicht so. Beide Gedichte sind vielmehr über das poetologische und autoreferentielle Thema verbunden. Der erhabenen Ansprache an die Laute in 3.1. folgt in 3.2. eine verkappte Selbstansprache an den Dichter, der sich in der Gestalt des Schmetterlings selbst darstellt. Der Schmetterlingsflug auf den Baum wirkt nach der Ode 3.1. zunächst wie eine parodistische Version des Motivs der Erhabenheit. Damit legt der Dichter eine erhebliche Selbstironie an den Tag (was schon von jeher zu seinen Spezialitäten gehörte), aber zugleich auch eine paradoxe Ernsthaftigkeit und sogar Tragik: die Eiche, auf die sein allegorisches Ebenbild flattert, ist morsch und nach alter Tradition demzufolge ein Sinnbild des Todes; im Kontext des Ganzen dürfte damit auch das vor dem Abgrund stehende Vaterland gemeint sein. Das Motiv der morschen Eiche ist übrigens neu gegenüber der Vorform des Gedichts aus Krotofile und demzufolge bedachtsam gewählt. Der “Schmetterling” hatte nicht genug an Blümchen, Rose und Hyazinthe, d.h. an der leichten erotischen Poesie, sondern wagt sich auf die morsche Eiche («na dębie spróchniaΩym») – schwingt sich also zu erhabener Poesie auf, «sinniert dort ein wenig» – versucht sich in Gedankenlyrik – , und verendet dann im Gesträuch. Es ist schwer, hier nicht an Kniaźnins späteres Ende im Wahnsinn zu denken.
Noch zwei vergleichbare Koppelungen eines erhabenen Gedichts mit einem explizit nicht-erhabenen finden sich im 3. Buch vor. Charakteristischer für seine Gesamtkonzeption ist indessen das Hervorkehren von Erhabenheit durch nichtkontrastive Anordnung: erhaben-patriotisch ist 3.19 na Regiment Potockich, dessen Wirkung durch die sentimental-heroische Episode vom tapferen Fahnenträger Kowalski gesteigert wird, dem 1649 in einer Schlacht beide Hände abgehauen wurden und der schließlich mit seinem sterbenden Leib die Fahne schützte. Dem folgt der gleichfalls erhabene Psalm 3.20 Do Boga. Psalm 137. skrócony, der sich gewissermaßen als der Sterbepsalm des Helden Kowalski lesen lässt:
Panie! przed Twoim padszy kościoΩem, / Będę Cię wielbić zniz˙onym czoΩem. […] // Niechay cię wszyscy znaią królowie […] // Jez˙eli na mnie przygoda spadnie, / Ty mię dźwigawszy, oz˙ywisz snadnie. / Na nieprzyjacióΩ puściΩeś strzaΩy:…/ Jam zostaΩ caΩy.
Im 4. Buch nehmen die Kontraste nahezu wieder das Ausmaß des 1. Buches an, werden aber in der Regel durch andere Kompositionsmaßnahmen erzeugt. Zwar kommt auch hier gelegentlich die direkte Zusammenstellung eines Erotikons (IV, 25 o MiΩości (Strophenform 6×8) und einer Psalmenparaphrase vor (IV, 26 Pomoc w Bogu. Psalm 120 (4×8) vor, aber insgesamt ist für das Buch eine Alternierung kleiner erhabener Serien mit kleinen nicht-erhabenen Gedichtfolgen charakteristischer. Das Buch beginnt wie die Bücher 1 und 3 mit einem besonders ernsten Erhabenheitsgedicht, der Ode 4.1. Do Potomności (Strophenform 3×11+8), die, wie die Anfangsgedichte aller drei vorigen Bücher, einen poetologischen und autoreferentiellen Akzent aufweist. Der Dichter wendet sich hier an die Nachwelt als Seher, mit einer tief pessimistischen apokalyptischen Vision vom künftigen Zustand der Welt, von verheerenden Kriegen, vom Umsturz der sozialen Hierarchien, von der Vernichtung der Kulturwelt, vom Triumph des Hochmuts, der die Errichtung einer neuen Welt ankündigt. Es ist charakteristisch für dieses Buch, dass die Linien des erhabenen Anfangsgedichts in sanften Übergängen zunächst durch zwei Gedichte fortgeführt werden (4.2. Do X. Fabiana Sakowicza; 4.3. Do Xcia Adama Czartoryskiego, GeneraΩowicza Podolskiego), ehe ein Erotikon (4.4. Na Nicę ) und ein panegyrisches Hochzeitslied des «Jungfernkreises (4.5. Amarylla. Na Akt weselny Xczki Maryanny Czartoryskiey z Xciem Ludwikiem Wirtemberskim. od KoΩa Panien´skiego) die Serie unterbrechen. Danach wird die ernsthafte Linie in den Angst- und Todesbildern von 4.6. Do Franciszka Karpin´skiego, in der Psalmenparaphrase 4.6. o Arce Pan´skiey. Psalm 131 und schließlich in zwei Panegyrika auf musterhafte Patrioten (4.8. Do Ignacego WitosΩawskiego, Oboźnego Poln. Koronnego und 4.9. Do StanisΩawa KΩokockiego) neuerlich fortgesetzt, bis zum Einschub dreier «leichter» Gedichte (4.10. Żal Pasterki, 4.11. Intryga, 4.12. Do Dębów. Pasterz zdradzony). Eine neuerlich erhaben-patriotische Serie setzt wieder ein mit der biblisch getönten Ode 4.13 Do Oyczyzny. Vox clamantis in deserto (vgl. Matth. 3,3) und wird fortgeführt durch drei patriotische Panegyrika (4.14-16), denen dann erneut drei erotische Gedichte (4. 17-19) folgen, etc.
Der Wille zur Kontrastbildung ist also auch hier mehr als deutlich und wird durch den Schluss des Buches und damit der Gedichtsamlung bekräftigt, wo dem abschließenden gottgefälligen Todesgedicht (IV, 29 O Sπmierci) noch schnell ein spöttischer anakreontischer Kommentar zum Zusammenleben eines alten reichen Ehemannes und seiner jungen Frau vorausgeschickt wird (IV, 28 Do Chryzala, starego Bogacza.)
Zur «Personenkonstellation» in den Oden
Der Durchgang durch die vier Bücher soll nun ergänzt werden durch einen Blick auf die «Personenkonstellation» der Oden, die zur kompositorischen Kohäsion dieser vier Bücher anscheinend ganz heterogener Gedichte ebenso beiträgt wie der gezielte Einsatz der Kontraste und Paradoxe.Wie bereits angedeutet, thematisieren in den Oden bemerkenswert viele Gedichte die Existenz, den Beruf und das Dichten des Dichters; sie gehen vielfältig über einerseits in die immer noch zahlreichen Erotika auf die verschiedensten Frauen, andererseits in die gleichfalls beträchtliche Gruppe der an Dichterkollegen gerichteten Texte.
Die Gedichte auf Frauen und an Kollegen richten sich zuallermeist an Gleichgestellte und sind insofern von denjenigen zu unterscheiden, die einen panegyrischen bzw. paränetischen Charakter haben und sich an höher gestellte Personen wenden. Die ranghöchsten sind Kniaźnins Herrschaften, Fürst Adam Kazimierz Czartoryski und seine Gattin Izabela, alias «Temira». «Temira» tritt zwar nur in fünf Gedichten direkt auf den Plan, aber diese Gruppe wird nach zwei Richtungen hin assoziativ erweitert, einmal durch die Gedichte auf ihre jüngeren Kinder, zum anderen aber durch eine Reihe von Gedichten auf musterhafte weitere polnische Patriotinnen vom Stande. Parallel dazu sind die männlichen Standespersonen angeordnet. Dem Fürsten gilt das Widmungsgedicht des Bandes (und augenscheinlich der ganzen dreibändigen Werk-Edition). In den Oden selbst wird er zwar nur zweimal direkt bedacht (2.14 und 3.11); allerdings schließen sich die beiden Gedichte auf Fürst Adams Vater August Czartoryski (1.7. und 2.8.) direkt an, und dazu noch die Gruppe der Gedichte auf männliche Patrioten höheren Standes.
Aus diesem Personenkreis hebt sich Adam [Jerzy] Czartoryski, «GeneraΩowicz Podolski» heraus, der Sohn des Fürsten. Ihm sind volle sechs Gedichte gewidmet, mehr als jeder anderen Person in den Oden. Sie fügen sich zu einem «zyklischen Strang» zusammen. Die durch allerlei anakreontisches Bei- und Rankenwerk verschönte Erziehung dieses Fürstensohnes zum menschlichen, religiösen und patriotischen Ideal steht heimlich im Zentrum der vier Bücher der Oden; zusammen mit ihm wird im gleichen Sinne “auf jeden Leser” eingewirkt.
In 1.9. Herkules MΩody wird dem jungen Mann die sehr didaktische Erzählung von Herkules am Scheideweg und von dessen Entscheidung für den dornigen Weg der Tugend zugemutet; dafür wird er durch das ebenfalls ihm gewidmete Trinklied 2.27 Anakreontyk entschädigt, das auf die Moral hinausläuft: wenn er erst Herr im Hause ist, wird es nie an gutem Wein, guter Kapelle und guter Laune fehlen. Mit dem Blick auf Mutter Temira ist wohl die zur Vorsicht mahnende Ode 3.4. Do Xcia Adama Czartoryskiego, GeneraΩowicza Podolskiego zu lesen, die dem zur Jagd aufbrechenden Burschen die Geschichte von Venus’ Geliebtem Adonis erzählt, den auf der Jagd der wilde Eber tötete. Als Entschädigung für soviel Ermahnung mag die Ode 3.21. Wiosna gelten, die ebenfalls dem jungen Mann gewidmet ist, den Frühling und damit die Hoffnung preist und eine kleine Serie von anakreontischen Liedern auf die Liebe, den Lenz und den Wein einleitet, mit denen das Buch zu Ende geht. In der apokalyptischen Anfangsphase des vierten und letzten Buches wird Adam Jerzy in 4.3. Do Xcia Adama Czartoryskiego, GeneraΩowicza Podolskiego geradezu im Stil eines Fürstenspiegels zu patriotischem und sozialem Verhalten angesichts der kommenden Katastrophen aufgefordert, und man könnte meinen, dass das nachfolgende leichte Erotikon 3.4. Na Nicę und das Hochzeitsgedicht für seine Schwester 3.5. Amarylla ihn für soviel Paränetik neuerlich entschädigen sollten. Im letzten Gedicht an den jungen Herrn, 4.22 Do Xcia Adama Czartoryskiego, GeneraΩowicza Podolskiego, hat sich das Verhältnis zwischen poetischem Mentor und jungem Zögling umgekehrt: der Dichter erlebt eine seelische Flaute (er verwendet exakt dieses Bild), verzweifelt an der Dichtung und fühlt sich in seiner Depression an die Stagnation der Sachsenzeit erinnert – erst am Schluss reißt ihn der Eifer seines jungen Zöglings und das Unglück der Polen aus der Lethargie.
Man kann in der mehrfach apostrophierten Gestalt des jungen Czartoryski den idealtypischen Leser der Oden identifizieren: den Leser, der sich von den Erotika und Trinkliedern gern unterhalten lässt und dadurch für die didaktische und moralistische Wirkungsabsicht der Oden empfänglicher wird.
Bemerkungen zum “Programm” der Oden und zur Idee des polnischen Hauses
Obwohl die Oden keinen Zyklus darstellen, kann festgestellt werden, dass dem Ganzen ein Programm zu Grunde liegt ähnlich einem kunstreichen Landschaftspark mit labyrinthischem Charakter. Dieses Programm kreist um die Themen Freiheit und ’Polnisches Haus’.
Die in den Erotyki gestaltete poetische Idee des polnischen Gartens der Liebe und Freiheit wird – nach Ansätzen in den Krotofile – in den Oden um die neue Idee des polnischen Hauses erweitert, in dem Freiheit und Fürsorge für die Armen und Schwachen, Liebe und Gerechtigkeit Wirklichkeit werden können auch angesichts der eingetretenen und noch zu erwartenden historischen Katastrophen; moralische Grundlagen der Haus-Idee sind Glaube und eine Kultur des historischen Bewusstseins. Der Strang «Polnisches Haus» beginnt mit 1.2. KościoΩ Temidy, einem Loblied auf die «Kirche der Gerechtigkeit», das Tribunal, «ów Polski odpor, à póΩnocy trwoga». Ihm folgt der Preis eines polnischen Adelshauses in 1.3. Do Alexandry Ogin´skiey. Das Haus ist ein ’Bild der Güte’ und der ’geringen Unterschiede’: «Jak na kray wolny przystaΩo, / Wszyscy tu bracia i siostry»; der Ode schließt sich sinnreich ein poetologisches Gedicht an die Grazien an, «Töchter der reizenden Freiheit». Wohlstand und Glück eines polnischen Hauses wird mit den Worten des blinden Wandersängers Homer besungen in der Ode 2.4. Do Jana KΩokockiego, Woyskiego Min´skiego; als «Palast der Freiheit» wird Temiras Haus bezeichnet, in dem eine mittellose alte Dame liebevolle Aufnahme findet (2.9 Do MichaΩa Zaleskiego, Woyskiego Litewskiego). Kniaźnin wäre indessen nicht Kniaźnin, wenn er dieses Motiv nicht einmal auch etwas tiefer hängte. Einmal schwärmt er vom künftigen Säuferglück im Haus des jungen Fürsten Czartoryski, wo es nie an Punsch fehlen, die Musiker immer inspiriert sein werden und stets prächtige Stimmung herrschen wird (2.27 Anakreontyk), ein andermal besingt er ein von «goldenen Palästen» und ihren Sorgen entlastetes Ruhehäuschen für Temira (3.3. Kaskada). Ferner fehlt es nicht an elegischen Tönen. In 3.11 Ray Brzez˙an´ski kann Fürst Adam nur für den Moment seines Besuches das frühere Glück eines polnischen Hauses wiederherstellen, das einst der berühmten Sieniawski-Familie gehört hatte und nun unter österreichischer Fremdherrschaft steht. In 3.16. Do Joanny Piaskowskiey, Starościny Tereszczan´skiey wird ein polnisches Haus dargestellt, das an die Traditionen der ruhmreichen Firlej-Familie anknüpft. Abgeschlossen wird der Strang durch ein Gedicht auf eine strohgedeckte Bauernhütte, die mit Gottes Hilfe Gewittern und Blitzschlag trotzt, im Gegensatz zu einem Prachthaus, das im geistigen Sinne «auf Sand gebaut» war (4.23 Do Piotra Mackiewicza). Der Ablauf dieses Stranges folgt demnach der Skepsis, die auch sonst gegen Ende der Oden anwächst. Den positiv-paränetischen Gedichten, die den Strang auf weite Strecken prägen, stehen überdies einige für Kniaźnin erstaunliche polemisch-satirische Gedichte auf Personen und zeittypische Formen sozialen und patriotischen Fehlverhaltens gegenüber, die einen patriotischen Pessimismus zum Ausdruck bringen. Notabene ist die Spannung zwischen hoffnungsvoller Paränetik und pessimistischer Satire oder Strafpredigt in Odenform eine weitere Quelle von Paradoxie- und Kontrasteffekten.
Was die Freiheitsproblematik angeht, so war sie schon in den Erotyki deutlich angelegt und wird sowohl in den Wiersze als auch in den Oden fortgeschrieben, wobei die wesentlichsten Modifikationen in der Verstärkung des patriotischen Elements (Wiersze und Oden) und in dem in den Oden völlig neu hinzutretenden religiösen Element bestehen. Der vorgeblich willensfreie Mensch ist Sklave übermächtiger erotischer Triebe; der Dichter kann sie in erotische Poesie umgestalten und damit ein Stück Gemüts- und Geistesfreiheit zurückerobern. Der Dichter steht einer übermächtigen poetischen Tradition gegenüber, die sich in ihm ausschreibt; er versucht sie zu bemeistern, indem er sie um- und nachschreibt; auch seine eigenen Gedichte schreibt und ordnet er beständig um. Der Dichter als Angehöriger eines fürstlichen Hofstaats ist Diener seiner Herrschaft, der poetisch seinen Dienst in die prinzipielle Freiwilligkeit des Dichters umgestaltet – als Panegyriker ist er daher so frei, einem Lobgedicht auf einen Edelmann ein erotisches Tändelgedicht auf eine Elmira auf dem Fuß folgen zu lassen. Der Dichter ist als Pole in der Gefahr, in die progressive Unterjochung seines «republikanischen» Landes durch die benachbarten «Despotien» Russland, Österreich und Preußen einbezogen zu werden. Gegen diese Gefahr vermag er – so die Konzeption der Erotyki – ein utopisches mythisches Gartenland zusammenzudichten, in der die Venus, die Liebe und die poetische Freiheit herrscht; ein volles und ganzes selbstbestimmtes Leben kann in dieser Utopie aber nicht gelebt und nicht einmal poetisch imaginiert werden. Diese melancholisch-eskapistische Version wird teilweise bereits in den Wiersze, besonders aber in den Oden transformiert. Der Dichter der Oden tritt erstmals entschieden in den Dienst des Gemeinwesens. Im Zusammenhang damit wächst die Bedeutung seiner Rolle als moralistischer Panegyrist (1.2. KościoΩ Temidy), als gläubiger Christ (1.1. Do Boga und 3.1. Do Lutni) und inspirierter Seher apokalyptischer Zukunftsvisionen (4.1. Do Potomności). All dies bedeutet poetische Arbeit an der Stärkung des allgemeinen moralischen Widerstandes gegen die befürchtete Unterdrückung der polnischen Freiheit durch äußere Bedrohung und inländische Korruption, insbesondere auch durch den Rekurs auf den Glauben an einen gnädigen Gott als Garanten für die polnischen Ideen der Gerechtigkeit, der Freiheit und der sozialen Tugenden. Der Dichter als Glaubender behält sich indessen die gleiche Freiheit vor, die er sich als Panegyriker nimmt – nämlich einer feierlichen Psalmnachdichtung eine mehr oder weniger frivoles Erotikon folgen zu lassen. Der Dichter als göttlich inspirierter Visionär wahrt also – bis zur allerletzten Ode des 4. Buches – die Freiheit des Rückzugs in die Anakreontik, in die erotische Sphäre, die bei ihm immer schon auch mit Selbstironie, Zweifeln, Einsamkeitsängsten und Depressionszuständen verbunden war. Letztere gewinnen konzentrierte Gestalt in der zweiten Version des Zyklus Klagen des Orpheus um Eurydike, die in der Ausgabe von 1787 unmittelbar auf die Oden oder Lyrica in vier Büchern folgen. Insofern knüpft der Zyklus nicht nur in ausnehmend paradoxer Weise an die anakreontisch-erotische Sphäre der Oden an, sondern schreibt auch noch deren Ablauf fort, wobei die «gekürzte und verbesserte» Version der Żale formal stärker von den vier Büchern der Oden abgesetzt ist als seinerzeit die Erstversion der Żale von den ihnen vorangehenden drei Büchern Krotofile. Die Żale Orfeusza nad Eurydyką widersprechen in ihrer bodenlosen Depression und ihrer ausgekühlten Hoffnungslosigkeit den utopisch-aufmunternden, befreienden Energien, die in den Oden trotz allem enthalten sind.
Literatur
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