Rolf Fieguth und Alessandro Martini (Hrsg.), Die Architektur der Wolken. Zyklisierung in der europäischen Lyrik des 19. Jahrhunderts, Bern 2005, 265-279
Rolf Fieguth
Die Gesellschaft – ein Lied. Cyprian Norwids Weg von den sozialpoetischen Gedichtzyklen zu “Vade-mecum”[1]
1. Zur Einführung
Im “Erklärenden Epilog” zu seinem kunsthistorischen Gedichtzyklus “Sieben ästhetische Skizzen Veit Stoß zum Gedenken” (1856) schreibt der polnische Dichter Cyprian Norwid (1821-1883):
Weil diese sieben Skizzen, welche die Ganzheit einer einzigen Skala haben, lakonisch, auf strikt historische Fakten gestützt, eine Vorstellung von den Hauptbegriffen einer sich erneuernden und im Vergleich zur heutigen gewissenhafteren Ästhetik geben, betrachte ich sie als ein Ganzes und lege sie als solches dem Publikum vor; es bleibt dem Leser überlassen, zu erraten, warum ich heute eine derart rhapsodische Initiation [Hervorhebung R.F.] einer runden, systematischen und abstrakten Doktrin vorziehe. Diese Wahrheiten und Bilder wurden zu verschiedenen Zeiten gesammelt, beim Besuch der amerikanischen, englischen und französischen Universal-Ausstellung, beziehen sich aber gleichwohl auf künftige mögliche Wiedergeburten und Erscheinungen dieses Unternehmens[2]. (PWsz 3, 535)
In diesen Zeilen bekundet sich ein klares Bewusstsein von der assoziativen und zyklischen – “rhapsodischen” – Fügung der sieben Versskizzen im Gegensatz zu einer “runden, systematischen und abstrakten” Darstellung; wir können die Passage samt ihrem Anklang an die homerischen Rhapsoden billig als Ausdruck eines “zyklischen Gattungsbewusstseins” interpretieren[3]. Norwid hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine ganze Serie von Gedichtzyklen oder zyklischen Werken[4] verfasst, denen noch mehrere weitere folgen sollten, namentlich der Gedichtzyklus “Vade-mecum” (1865/66), dem in der polnischen literarischen Kultur die Bedeutung eines Anfangs moderner polnischer Lyrik zukommt und der auch in der sonstigen europäischen Poesie der 1860er Jahre kaum Parallelen hat. Im Sinn eines frühen Anfangs der modernen Poesie wird in Polen auch oft eine Parallele zwischen Norwids “Vade-mecum” und der großen “Charta der modernen Poesie”, Baudelaires “Les Fleurs du Mal” (1857/1861) gezogen, wobei freilich der allgemeine Charakter der beiden Zyklen gegensätzlicher kaum gedacht werden kann, trotz einiger bemerkenswerter Gemeinsamkeiten (vgl. dazu Jauß 1981).
Norwid ist in demselben Jahr geboren wie Dostoevskij, Flaubert und Baudelaire. Seine literarische Aktivität fällt aus europäischer Perspektive in die Epoche, in welcher der sog. Realismus der Romanliteratur dominiert und in Konkurrenz zu einer Vielfalt von post-romantischen und anti-realistischen Gegenströmungen steht. Die polnische Romantik kann bemerkenswerterweise bereits seit den 1830er Jahren als das große liberum veto eines zerstückelten und unterdrückten Landes gegen Europas “Realismus” verstanden werden, der den polnischen Romantikern sowohl in der Politik der damaligen europäischen Bündnissysteme als auch und namentlich in der Literatur als Kompromiss mit einer schlechten sozialen und politischen Wirklichkeit galt. Heinrich Heine und Victor Hugo, später auch Baudelaire mit “Les Fleurs du Mal”, sind in der genannten Periode die Autoren von Gedichtbüchern mit europaweiter Wirkung, und Norwid hat die beiden ersten nachweislich, den dritten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gekannt. Nur signalisiert kann hier ferner werden, dass bei Norwid mannigfache italienische Inspirationen zu unterstellen sind[5]. Dazu kommen nicht wenige deutsche und auch englische Inspirationen und Erfahrungen, ferner Norwids außerordentlich eigenwillige und intensive Auseinandersetzung sowohl mit der Bibel, den christlichen Kirchenvätern und seinerzeitigen katholischen Theologen (s. dazu Merdas 1995), als auch mit dem weiten Bereich der antiken Poesie.
2. Die Gesellschaft – ein Lied.
Norwid fällt bereits mit seiner frühen Lyrik durch weit gespannte literarische Interessen, souveräne Formbewältigung und einen zugleich radikalen und ironiefähigen Melancholie-Ton auf, der zuweilen an Nikolaus Lenau (1802-1850) gemahnt. Seine Auseinandersetzung mit zyklischen und assoziativen Kompositionsformen beginnt mit seiner krisenhaften Neuorientierung ab dem Revolutionsjahr 1848. In dieser Phase schwankt der katholische Anti-Revolutionär Norwid, der in Rom zu den bewaffneten Verteidigern des Papstes gehört, in seiner Poesie zwischen empörend kunstloser Volkszugewandtheit und außerordentlich komplexen, zunehmend experimentellen und manieristischen Strukturen.
2. 1. Das “Gesellschaftslied. 1848” (“Pies´ni spoΩecznej cztery stron. 1848”)[6]
Ein geradezu provozierendes Exempel der poetischen “Kunstlosigkeit” sind “Des Gesellschaftsliedes vier Saiten[7]. 1848” (“Gesellschaftslied”). 1849 gedruckt, besteht der Zyklus aus einem kurzen Motto aus Psalm 137 und vier römisch nummerierten mehrstrophigen Gedichten: I. ”Gleichheit. Freiheit. Brüderlichkeit” (35 zu allermeist vierzeilige Strophen); II. ”Unfreiheit” (7 4-zeilige Strophen); III. ”Eigentum” (28 4-zeilige Strophen); IV. ”Gemeinwesen” (Rzecz-pospolita) (34 meist vierzeilige Strophen). Alle Texte sind in abwechselnd vier-und dreihebigen (oft etwas unregelmäßigen) Trochäen gehalten, was im Kontext der hochliterarischen polnischen syllabischen Verskultur auffallend volkstümlich wirkt. Die vier Partien dieser Dichtung sind erkennbar von vornherein als Teile einer einheitlichen Komposition geschaffen worden. Ihr Zusammenhang ergibt sich bereits aus den für 1848 zeitaktuellen Gedichttiteln sowie aus dem einheitlichen Versmaß. Darin, und auch in ihrer Thematik, spielen sie auf die “Psalmenpolemik” zwischen Zygmunt Krasin´ski (“Psalmen der Zukunft”, 1845) und Juliusz SΩowacki (“Antwort auf die Psalmen der Zukunft”, 1848) an[8]. Mit der betont volkstümlichen Verssprache knüpft Norwid (wie schon Krasin´ski und SΩowacki) aber auch an gewisse volksnahe Revolutionsdichtungen an[9]; sie sind als vom ganzen Volk zu singende Choräle zu denken.
Diese erste, von fast allen bisherigen Kommentatoren sehr schlecht benotete zyklische Dichtung[10] des Autors ist für seine weitere Werkentwicklung von paradoxer Bedeutsamkeit. Zum einen erprobt er hier einen lyrischen Minimalismus, ein “armes Lied”[11], eine Kunstlosigkeit, die als Abbau lyrischer Bild- und Stimmungshaftigkeit in “Vade-mecum” wiederkehren wird. Zum anderen spielt er ein Thema durch, das er später mehrfach variieren wird: die (polnische) Gesellschaft als Lied bzw. als Dichtung – wobei die zyklische Komposition dem Thema entgegenkommt: Eine freie Gesellschaft besteht aus autonomen, freien, oft miteinander auch im Konflikt stehenden Teilen, und so verhält es sich auch mit dem “Lied”, d.h., wie man ergänzen darf, mit der aus freien und autonomen Teilen zusammengefügten Dichtung, insbesondere auch der zyklischen Dichtung[12]. Diese Grundidee lässt sich übrigens mit Schillers Brieftraktat “Kallias oder Über die Schönheit” (1793) in Verbindung bringen[13]. Das Gedicht Nr. I, “Gleichheit. Freiheit. Brüderlichkeit”, bindet den Begriff der Freiheit an die Religion, d.h. an Glaube, Liebe und Hoffnung; ihm liegt die Idee einer freien organischen Gesellschaft mit freier Betätigung aller Glieder und unter organischer Einbeziehung der Künste zu Grunde. In diesem Organismusgedanken liegt auch der Sinn des zyklischen, d.h. in diesem Fall lockeren und assoziativen Gesamtarrangements. Gedicht Nr. II, “Unfreiheit”, definiert Freiheit nicht im unbeschränkten Sinne, sondern als das Andere der Unfreiheit; Freiheit hängt auch vom Heiligen ab sowie von Recht, Gesetz, Kunst- und Handwerksregeln, welche Willkür und Freiheit einschränken. Dies leitet über zum Gedicht III., “Eigentum”, dessen Quintessenz in dem an eine Revolutionsparole erinnernden Wortspiel “niema mienia bez sumienia – kein Besitz ohne Gewissen” liegt – die Ausübung des Eigentumsrechts kann nicht schrankenlos sein, sondern unterliegt dem Gewissen und der Verantwortung vor der Gesamtgesellschaft[14]. Das Gedicht Nr. IV. “Gemeinwesen” (“Rzecz-pospolita”[15]) behandelt das Ideal des polnischen staatlichen Gemeinwesens unter den Stichworten der freiwilligen Gemeinschaftlichkeit, der Liebe als sozialer Toleranz für den Andersdenkenden, der Pluralität der Auffassungen vom Gewissen und von der Gerechtigkeit; eine so beschaffene Gemeinschaft wird mit einem machtvollen Chorgesang verglichen.
Mit dieser hoch politischen zyklischen Dichtung bewegt sich Norwid noch weitgehend in der damaligen Phase der polnischen Romantik (die mit der gleichzeitigen französischen Romantik vergleichbar bleibt). Das geht aus dem zuweilen enthusiastischen Ton des “Gesellschaftsliedes” hervor, aber auch aus dem Motiv der Gesellschaft, die wie ein poetisches Chorlied (oder wie ein locker und widersprüchlich gefügter Gedichtzyklus) organisiert sein sollte. Zugleich liegt eine Parallele zwischen Norwids Idee des “Gesellschaftsliedes” und der gleichzeitigen französischen Konzeption des “art social” auf der Hand[16].
2.2. “Der-Psalmen-Psalm” (1850).
Norwid schloss an diese zyklische Dichtung zwei weitere an, von denen nur noch eine in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten geblieben ist: “Der-Psalmen-Psalm als des Gesellschaftsliedes drittes Heft”[17]. Das Werk knüpft explizit an das “Gesellschaftslied” und an das heute in seiner ursprünglichen Fassung nicht mehr erhaltene Poem “Drei Fragen” (Trzy pytania) an (Norwid PWsz 3, 397), negiert aber das “Gesellschaftslied” geradezu durch hochkomplexe Struktur und schneidende Ironie. Das neue Werk besteht aus einem Prosa-Vorwort an August Cieszkowski, einem Motto aus Jesajah VIII, zehn römisch nummerierten titellosen Textstücken und einem Anmerkungsteil des Dichters. Der Titel “Der Psalmen-Psalm” signalisiert in jedem Fall die Zusammengehörigkeit der Texte. Da jeder von ihnen ein autonomes Gedicht ist (außer IX, das ohne den Bezug auf VIII unverständlich bliebe), betrachten wir das Werk als einen Gedichtzyklus, dessen Komponenten im Sinne von Cappello 1998 einen Makrotext ergeben (vgl. auch den Titel). Zwei für die europäische Zykluspoesie eminent wichtige alttestamentliche Textgruppen werden evoziert: die “Psalmen” und das “Hohe Lied Salomonis”, ferner auch das paulinische “Hohe Lied der Liebe” in I. Kor. 13 (vgl. dazu Merdas 1995). Bei diesen konzentrierten Anknüpfungen an die lyrischen Traditionsformen des Alten und Neuen Testaments fällt der Anklang an einen religiös gefärbten Petrarkismus auf, und zwar im Textstück VI des Zyklus, einer Paraphrase des “Hohen Liedes” in freien Versen. Diese Paraphrase ist auf eine Schockwirkung angelegt: Sulamith (hier nie beim Namen genannt), die sich zum Treffen mit dem Geliebten verspätet und daher unter die Räuber und Vergewaltiger fällt, bleibt ein Opfer ihrer Misshandler; die in der Bibel erzählte Wiederbegegnung mit dem Geliebten wird bei Norwid ausgespart. Echte Poesie wird mit komplexer Ironie symbolisch in die Situation der Sulamith versetzt; authentische Dichtung wird zum “Lied über den Liedern”, zum ’allzu hohen Lied’, das niemanden mehr erreicht. Die Ironie zielt aber letztlich auf die “schläfrige” polnische Gesellschaft. Ihr kommt in Wahrheit die Rolle Sulamiths zu, der verschlafenen Liebenden, die ihren Geliebten, will sagen ihre Dichter oder ihren Dichter, verfehlt, und die auch noch in ihren Zukunftsvisionen in vollkommen chimärischen Harmonievorstellungen[18] befangen ist.
Das Ganze ist nicht nur Norwids überzeugendster Gedichtzyklus vor “Vade-mecum”[19]; es präfiguriert ihn gewissermaßen auch schon. Textstück I und die Schlussstrophe von VII verweisen auf VM “I. Erhoben die beifallsgeschwollenen Hände (Klaskaniem maja˛c obrze˛kΩe prawice)”; das Motiv der verschlafenen Geliebten aus Textstück VI kehrt wieder in VM “XVII. Ländliche Welt”; die in den Textstücken VI und VII entwickelte Theorie der Liebe begegnet neu in VM “XCIX. Chopins Fortepiano”, dem VM-Gedicht, das die Funktion des “Liedes über den Liedern” einnimmt. Es wäre auch nicht abwegig, in der Anzahl der 10 Gedichte von Psalmen-Psalm einen Bezug zu den späteren 10×10 nummerierten Gedichten in VM zu sehen und in beiden Zyklen auch nach einer gewissen Zahlensymbolik zu suchen.
Wir übergehen hier die zyklische Dichtungen “Salem” (1852) und “Die Echos. Eine Phantasie” (1856) und wenden uns kurz dem eingangs bereits erwähnten “kunsthistorischen” Zyklus zu:
2.3. “Sieben ästhetische Skizzen Veit Stoß zum Gedächtnis”. 1856 (“Wita-Stosa pamie˛ci estetycznych zaryso´w siedem”).
Immer noch sozialethisch engagiert zeigt sich der Dichter in seinem kunsthistorischen Veit-Stoß-Gedächtnis-Zyklus (1856), aber er weist hier dem zyklischen Bedeutungsaufbau eine neue Funktion zu, nämlich diejenige des poetischen Ausdrucks einer unabgeschlossenen Entwicklung. Darin, aber auch bereits im Duktus aller acht (sic!) Verstexte, kündigt sich bereits sehr deutlich der künftige Autor des “Vade-mecum” an. Man stößt hier auf das dialogisierte Epigramm, den kurzen Lehrdialog, die verknappte dialogisierte Parabel, Heiligenlegende oder Anekdote – wobei die Dialogisierung keineswegs im Widerspruch zu der berüchtigten Norwidschen Dunkelheit steht.
Der Titel des Zyklus bezieht sich auf den Altarschnitzer und Bildhauer Veit Stoß (Wit Stos, Stuos, Stvos oder Stwosz, 1447-1533), der in Krakau und in Nürnberg tätig war und damit die grenzüberschreitende Universalität der (christlichen) bildenden Kunst verkörpert, die für Norwid immer wichtig war; im Haupttext kommt er allerdings nicht weiter vor. Der Zyklus stellt herausragende Entwicklungsstadien der (namentlich christlichen) religiösen Kunst dar – von ihrem legendären neutestamentlichen Ursprung bis zu ihrer Deformation in neuzeitlichem Kritikerwesen, Manierismus und gleichgültig profanem Musealismus[20].
Die Entscheidung für eine fragmentarische, also zyklische Gestalt des Werks (Norwid selbst spricht von der “rhapsodischen Initiation”) ist eine Entscheidung gegen den kohärenten Vers- oder Prosatraktat. Sie wird vom Dichter in dem “Erläuternden Epilog”, den wir am Anfang dieses Beitrags zitiert haben, andeutungsweise, aber unmissverständlich als poetischer Ausdruck der Idee der unabgeschlossenen und mithin fortdauernden Weiterentwicklung der religiösen Kunst hingestellt: Die offenkundige Degeneration der religiösen Kunst (Manierismus; Profanisierung; Musealisierung) von Norwids Gegenwart ist offenbar nicht der Endpunkt dieser Entwicklungsbewegung, vielmehr werden künftige “Wiedergeburten” ins Auge gefasst. Es ist anzunehmen, dass die Aufeinanderfolge der Textgattungen (kurze legendenartige indische Inschrift (“Eingang” (“Wste˛p”), drei Legenden mit zunehmend historisierenden Momenten (II. Evangelist Lukas als erster Ikonenmaler; III. Märtyrertum des Ikonenmalers Lazaros unter dem ikonoklastischen Kaiser Leo; IV. Wirkung der Ikone des Methodios bei der Christianisierung der Bulgaren), und zwei Anekdoten (“VI. Manierismus”; “VII. Der Profane”)[21] bereits Norwids zyklische Theorie von der geschichtlichen Epochensequenz als einer konkreten Aufeinanderfolge von Erzählgattungen vorwegnimmt. Dieser Konzeption zufolge besteht zwischen Legende, Epopöe, Historie und Anekdote ein progressives Verhältnis der Implikation und nachfolgenden Explikation (die Legende impliziert die ihr nachfolgende Epopöe, diese die ihr nachfolgende Historie, etc.); sobald die Phase der Anekdote erreicht ist, steht eine geistige Revelation oder Revolution bevor, deren Folgen sich wiederum in Form der Legende erzählen. Wegen der zyklisch gedachten Gestalt dieser Entwicklung können Anekdote und Legende in unmittelbare Nachbarschaft geraten[22]. Derartige Nachbarschaften werden in “Vade-mecum” häufig begegnen; dieser Aspekt kann hier aber nicht weiter diskutiert werden.
Wir übergehen die Zyklisierungstendenzen sowohl in der Werkauswahl “Poezye” (Norwid 1863) als auch im Haupttext der Broschüre “Unfreiheit und Der Erzürnte” (“Niewola i Fulminant”; Norwid 1864) und konzentrieren uns auf das Vorwort zur letztgenannten Broschüre.
2.4. “Unfreiheit und Der Empörte. 1849-1863. Zwei Rhapsoden”. 1864 (“Niewola i Fulminant. 1849-1863. Dwa rapsody”).
Eine massive Rückkehr zu Motiv und Thema des “Gesellschaftsliedes” bringt “Unfreiheit und Der Empörte” (1864). Wichtig ist hier der zeitgeschichtliche Kontext: 1863 brach der polnisch-litauische Aufstand gegen die russische Oberherrschaft in Russisch-Polen und Litauen aus, und die Broschüre reagiert auf die damit in Polen einhergehende militante Stimmung und auf die Enttäuschung über den unglücklichen Ausgang der Insurrektion. Die Situation ist ähnlich wie 1849 bei der Publikation des Zyklus “Gesellschaftslied”, der die revolutionäre Stimmung aufgefangen hatte, ohne die Revolution als solche zu bejahen. Die neue Broschüre knüpft in manchen Einzelheiten an die alte an[23]. Es handelt sich auch diesmal um eine zyklische Dichtung, die wir aus Platzgründen hier nicht weiter kommentieren.
Die dem gesamten Büchlein und seiner zyklisch-assoziativen Komposition neuerlich zugrundeliegende Idee des Gesellschaftsliedes geht mit größter Deutlichkeit auch aus dem Prosa-Vorwort “An den Leser” hervor. Dieses gibt als Datierung zwar “Geschrieben 1848 in Paris” [24] an, stammt aber wohl aus dem Jahr 1863. Es sei hier (mit einigen Kürzungen) zitiert, einmal, um deutlich zu machen, wie Norwid sich selbst literarhistorisch einordnet, dann, um ein weiteres Zeugnis ’zyklischen Gattungsbewusstseins’ anzuführen, schließlich aber auch zu dem Zweck, die Verbindung zum Vorwort des kurze Zeit später entstandenen Zyklus “Vade-mecum” herzustellen:
Seit dem denkwürdigen Streit der […] Romantiker mit den […] Klassikern […] ist die polnische Literatur im Inland ins Volk gegangen und hat zahlreiche Sammler von Legenden, Sprichwörtern, Liedern und Brauchtümern hervorgebracht […]. Dieselbe Literatur ist im Ausland in den Menschengeist gegangen, hat dessen seltsames Innenleben erforscht und eine Philosophie gezeitigt; von Gesellschaften umgeben, die in ihren Grundfesten erschüttert wurden und sich den vitalsten Fragen zuwandten, ist sie zum Mystizismus verblüht und verstummt, wie ihre Schwester im Inland, da sie die Perlen des Volkgeistes aufgesamelt hatte.
Jetzt – nach dieser geistigen, anti-formalen Gestaltung – wird sie zweifellos eine tätige Richtung einnehmen, was sogar bereits an ersten Übertreibungen zu sehen ist. […]. Der Tätigkeitscharakter der Literatur beruht jedoch bekanntlich nicht auf ihrer Bündelung zu einem einzigen Gedanken, was eher die mystische Richtung ist […], sondern vielmehr auf der Ausfächerung (Spezialisierung), auf der Dispersion dieses Komplexes nationaler Weisheit.
An der Schwelle dieser Arbeit stehen wir heute zweifellos, einer Arbeit, die vielleicht auf noch heftigere Widerstände stoßen wird als die erste. Und zwar aus folgendem Grund: die Bündelungsarbeit konnte durch bloße Inspiration, bloße Unbegrenztheit, sozusagen durch bloßen Anti-Formalismus vorankommen, dagegen kann die Dispersionsarbeit nur durch Wissen, gewissenhafte Umsicht, durch die Annahme einer bestimmten Seinsachse Kraft gewinnen und erblühen. Wenn ständig das (freilich offenkundige) Fehlen besonderer Menschen bemängelt wird, dieser Ziegelsteine, dieser Strophen, ohne dass ein Plan, ein Brennpunkt oder Rhythmus des Epochen-Ganzen anerkannt wäre, dann wird in Wahrheit ja nur blindlings das Fehlen patriotischen Dunkelmännertums bemängelt. Denn je rüstiger der menschliche Geist – Generalist und Herr von Natur aus –, desto schneller wird er zu jenem Diener, jenem Spezialisten, wenn er wieder aufersteht und seine neuerliche Ausbreitung in der – und sei es auch nur idealiter gedachten – Ganzheit der Gesellschaft verspürt. Er wird dann, sage ich, zu dem Ziegelstein, der sich unversehens als Gebäude im Gebäudeplan wiederfindet – er wird zu dem Strahl, der sich im Herzen der Sonne wiederfindet, er wird zu der Epenstrophe, die sich wiederum im Ganz-Lied und dessen allgemeinem Rhythmus wiedererrät […].
Wenn also die polnische Literatur vorankommen und nicht bei ihrem heutigen Überdruss an der bisher erzielten Einseitigkeit stehen bleiben soll, wenn sie anschließend nicht in Manierismus verfallen, […], wenn sie […] in eine zweite Sphäre eintreten soll (an deren Anfang sie heute steht), nämlich in die Sphäre der Literatur der Tat, dann muss sie sich unverzüglich innerhalb jener nationalen Gesamtgestalt des verbindlichen Organismus erschauen, der heute die gebündelten Spezialitäten des Wissens vom Leben verborgen und suspendiert hält.
Denn “es gibt den sterblichen und den unsterblichen Körper”, wie der Apostel sagt – mithin ist alles, was zur vergegenwärtigenden Bestimmung dieses unsterblichen Körpers beiträgt, allein dadurch Beginn einer Literatur der Tat. Ich habe den festen Glauben […], dass die Person-der-Nation, die heute in fataler Heimlichkeit begraben ist, eine selbstgegenwärtige Gesamtgestalt ihrer Idee gewinnen und dann auch wachsen, erstarken und ihr Selbst kämpferisch einsetzen kann.
Ich kann hier nämlich nicht das Vorbild des Sokrates vergessen, der den Abdruck der Fesseln an seinem Fuß als Inhalt und Beispiel der Lehre vom Schmerz und vom Verhältnis des Schmerzes zum Leben ansah und auf diese Weise die Fatalität seiner Lage meisterte, indem er an unüberwindlich ihrer selbst gewisser Freiheit zunahm .
Geschrieben in Paris 1848.
Hieraus lässt sich entnehmen: Norwid deklariert sich als Überwinder der “zum Mystizismus verblühten” polnischen Romantik sowohl in ihrer inländischen als auch in ihrer Emigrationsvariante und beansprucht durch die Datierung seines Vorworts (und durch die Datenangaben im Titel der Broschüre), diese Einstellung schon seit den 1840er Jahren vertreten zu haben. Er bekennt sich zu einer “Literatur der Tat”; was wir bisher als den “sozialethischen” Zug in seinen Zyklen bezeichnet haben, fällt offensichtlich unter diese Kategorie. Die Formulierung ’erste Übertreibungen einer tätigen literarischen Richtung’ bezieht sich wohl auf die ersten Anfänge des polnischen Positivismus. “Literatur der Tat” beruht nach Norwids Verständnis unter anderem auf Spezialisierung, Arbeitsteilung, “Dispersion” – mithin auf einer Stärkung der Teile zugunsten einer Dynamisierung des Ganzen. Mittelbar sind wir hier wieder bei der Grundidee des Zyklus, der auf einer freien Vereinigung autonomer Komponenten zu einem neuen lockeren Ganzen wird. Allerdings wirken die hier verwendeten Metaphern des “Ziegelsteins” und des “Gebäudes”, der “Strophe” und der “Epopöe” bzw. des “Ganz-Liedes” rigoroser als die autonomen Gliedtexte einer zyklischen Komposition. Auch sind Norwids Poeme und epischen Versuche mit dieser metapoetischen Metaphorik ebenso gemeint oder konnotiert wie seine zyklischen oder “rhapsodischen” (wie er selbst sagte) Kompositionen, denn auch sie zeichnen sich durch eine äußerst assoziative Verbindung ihrer Teile zu einem Ganzen aus.
Interessant ist nun die komplexe Verwandtschaft dieses Texts mit Norwids Vorwort zu “Vade-mecum”, dem Zyklus, der kurz nach dem Abschluss der Arbeiten an Norwid 1864 zu entstehen beginnt, und dem wir uns im Abschnitt 3.1. zuwenden.
2.6. Das Vorwort zu Vad-mecum “An den Leser” (1865) – Abschied von der sozialpoetischen Utopie
Wie schon in dem soeben kommentierten Vorwort zu “Unfreiheit und Der Empörte”, so formuliert Norwid auch im Vorwort zu VM “An den Leser” (1865) seine Auffassung von seiner “Gegenwart im Hinblick auf seine Zeit und auf ihre ins Spiel kommenden Bestandteile”. Auch hier polemisiert er gegen die Romantiker (“meine großen und berühmten Vorgänger”) – jetzt allerdings mit etwas anderen Argumenten: die Romantiker hätten zu viel Gewicht auf die “Rechte der Nation” und zu wenig auf ihre “Pflichten” gelegt, und es gebe zu wenig Moralisten. Norwids implizites Bekenntnis zur “allzu geringen Schar der Moralisten” ersetzt die frühere Berufung auf das Stichwort von der “Literatur der Tat”.
Genau an diesem Punkt ist aber nun auch der wesentliche Unterschied zum früheren Text anzusetzen: das neue Vorwort projiziert nicht mehr die positive Utopie einer bevorstehenden geistigen Integration der polnischen Gesellschaft und Nation, und auch nicht mehr den “tätigen” Beitrag der Poesie zu diesem Prozess. Entsprechend ausgeblendet sind auch die früheren Anspielungen auf die Komposition der eigenen Dichtungen; das neue Vorwort liefert keinen Verweis auf eine etwaige zyklische Anordnung der Gedichte in “Vade-mecum”[25]. An die Stelle visionärer Hoffnungen treten geradezu stocknüchterne Formulierungen. Zweimal begegnen wir jetzt der Feststellung, “dass die polnische Poesie […] sich in einem kritischen Augenblick befindet”. Man hat dies wohl doppelt zu verstehen, implizit als Bekundung einer “Kritik übenden Richtung” der Poesie, explizit aber als Feststellung eines Krisenzustandes der Poesie: “Das also, was ihre Lage ändern soll, ist zu träge, um zu helfen, zugleich aber auch schon entwickelt genug, um Widerwillen und Zweifel zu stiften”. Ebenso nüchtern klingt die Überlegung: “…ich denke, dass wir in eine neue Epoche übergehen werden, die […] normaler sein wird […]”. Norwid legt aber in seinem eigenen “Vade-mecum” nicht etwa nur oder hauptsächlich eine Poesie der antizipierten Zukunft vor, sondern mindestens ebenso eine Poesie seiner Zeit. Als Zeitpoesie versteht sie sich als umfassend kritisch und moralistisch: sie ist sprachkritisch, poesiekritisch und sozialkritisch, und sie transformiert die aus dem Krisenzustand erwachsenden Beschädigungen der Lyrik zu einer neuen praktizierten Poetik, zu einem Mittel der poetischen Darstellung beschädigter Zeit. “Vade-mecum” ist als ihrer selbst bewusste “Poesie in kritischer Phase” zu lesen, die sich zeitkritisch selbst in den Kontext einer “nicht normalen” Epoche stellt, jedoch häufig genug auch über deren Horizont hinausblickt – weit in die Vergangenheit der Poesie, und ein Stück weit auch in ihre Zukunft. Von dieser Zukunft deutet Norwid hier nur an, dass sie “normaler” sein und die poetische Kunst von tagespolitischen, sozialpolitischen und dekorativ-malerischen Begleiterscheinungen befreien wird. Dahinter lässt sich das Ideal durchaus noch ahnen, das in dem Vorwort von 1864 pathetisch beschworen worden war – das Ideal einer Poesie, die sich in ihrer Spezifik innerhalb und zugunsten eines normal funktionierenden polnischen Gesellschaftsorganismus entfaltet. Ein Motiv für die Zurücknahme Utopie liefert das ursprünglich letzte Gedicht des Zyklus, “C. Auf den Hinschied von Jo´zef Z. sel.”, wo Norwid die Gegenwartsepoche folgendermaßen charakterisiert:
Darum hat in einer Epoche, in der mehr / Abbrüche sind ist als Vollendungen… / Darum hat in dieser Zeit, da mehr / Zerschmetterung ist – als Abschluss; / Darum hat für das Jetzt, / Da mehr Tod ist – als Hinschiede, / Dein Tod, Werter Mann Jo´zef / Wahrlich gleichsam das Ansehen / Einer gesegneten Tat.
Anstelle der weitgehend auf die polnischen Verhältnisse bezogenen sozialpoetischen Utopie der bisherigen Norwidschen Gedichtzyklen tritt nun in “Vade-mecum” eine Polen und das moderne Europa samt seinen alten Traditionen zusammendenkende moralistisch-zeitkritische Diagnose im Medium der Poesie in den Vordergrund.
[1] Der Beitrag ist hervorgegangen aus Fieguth 2002 sowie aus einem Vortrag an der Tagung der Katholischen Universität Lublin über Norwids Lyrik in Kazimierz (Mai 2000); für anregende Diskussionsbeiträge ist Stefan Sawicki und Alina Merdas zu danken. Es werden folgende Abkürzungen verwendet: DZ= DzieΩa Zebrane, s. Norwid 1966; PWsz= Pisma Wszystkie, s. Norwid 1971-1976; VM= Norwid, “Vade-mecum” (1865 / 66). Texte aus VM werden nach Norwid 1990 zitiert, andere Norwid-Texte nach PWsz, sofern nicht anders angegeben. Norwids Sperrungen werden durch Kursivsatz ersetzt; seine sonstigen orthographischen und typographischen Eigenheiten werden in Originalzitaten wie Übersetzungen respektiert. Die Norwid-Übersetzungen stammen vom Verfasser; die VM-Übersetzungen folgen nicht streng der Ausgabe Norwid 1981.
[2] scil. – der religiösen Kunst, welcher der Zyklus gewidmet ist.
[3] Vgl. auch Sudan 1997, 21, Anm. 2 mit dem Hinweis auf den Dichter Pétrus Borel und dessen Verwendung des Gattungsbegriffs “Rhapsodies” (1822).
[4] Der Ausdruck “zyklische Werke” meint hier Gedichtzyklen und damit eng verwandte Kompositionen; Gomulickis Gruppierung von ““epischen Poemen”, “didaktischen Poemen” und “zyklischen Werken” (PWsz 3, 702) wird damit nicht übernommen. Die editorischen Entscheidungen in diesem Band verdienen eine Kritik, für die hier nicht Platz ist.
[5] Allgemein bekannt ist Norwids Interesse für Dante, Petrarca, Michelangelo (die Sonette), Tasso, Benvenuto Cellini und Salvator Rosa; auch der italienische Romantiker Giacomo Leopardi (1798-1837, “Canti” 1831) wird ihm kaum entgangen sein. Es steht dahin, ob er einen politischen Lyriker wie den Florentiner Giuseppe Giusti 1809-1850 zur Kenntnis genommen hat. Für Diskussionen zu diesem Themenkomplex danke ich Alessandro Martini.
[6] Zu einer ausführlicheren Darstellung dieses Werks s. R. Fieguth, “Die Gesellschaft – ein Lied. Über zwei frühe Gedichtzyklen Cyprian Norwids”; Beitrag zum Sammelband des Leipziger Polonistentags 2001 (im Druck).
[7] Diese Übersetzung folgt einer Überlegung von Gomulicki (PWsz 3, 755), der ”stron” , nach Warschauer Art ausgesprochen wie ”stro´n”, als gen. plur. sowohl von “strona” (die Buchseite), als auch von ”struna” (die Saite eines Musikinstruments), verstehen möchte.
[8] Diesen Kontext sieht als einer der wenigen Trybus´ 1993, 50.
[9] In Frage kommen hier u.a. Kornel Ujejskis “Klagen des Jeremias” (“Skargi Jeremiego”, 1847), ferner Georg Herweghs “Lieder eines Lebendigen; Ferdinand Freiligraths von Victor Hugo inspirierte Poesie, namentlich “Ein Glaubensbekenntnis” (1844) und “Ça ira” (1846). Vgl. Bujnicki 1991. Zur Zyklusneigung in der französischen politischen Poesie vgl. Sudans Hugo-Beitrag in diesem Band sowie Flottes 1976.
[10] Borowy 1960, 22 zeigt sich “konsterniert” von diesem Werk, Dokurno 1965, 99-112 kommt zu keiner besseren Einschätzung.
[11] “pies´niom sztaty daΩem / takie uboz˙uchne” – “Rzecz-pospolita” IV, vv. 81-84, PWsz 3, 359
[12] Die polnische Freiheit und das polnische Gemeinwesen werden als “Viel-Gewissen” (wielo-sumienie: das Gewissen der vielen Einzelnen, und das große Gewissen des Ganzen), als Ausgleich zwischen der Freiheit des Individualgewissens und den Erfordernissen des Gemeinsinnes gedacht (zu Norwids wichtiger Konzeption des Gewissens vgl. ausführlich Fert 1993). Im Text der Dichtung selbst wird die Analogie zwischen der freien Fügung des Liedes und der polnischen Idee der Freiheit und des Gemeinwesens deutlich thematisiert:
Freiheit wird aus gutem Willen [=“freiwillig”] kommen, / Wie im gereimten Lied, / Wo der Sinn mal mit der Melodie scherzt, / Mal die Melodie mit den Worten spielt.
Wolnos´c´ be˛dzie z dobrej woli, / Jak w pies´ni rymowe´j, / Gdzie i z nuta˛ mys´l swawoli, / I nuta gra sΩowy.”(Pies´n´ spoΩeczna I, vv. 67-70)
Die besagte Analogie wird ferner in den Zeilen PSCS IV, vv. 29-40 deutlich gemacht.
[13] Es heißt dort “An jeder großen Komposition ist es nötig, dass sich das Einzelne einschränke, um das Ganze zum Effekt kommen zu lassen. Ist diese Einschränkung zugleich eine Wirkung seiner Freiheit, d.i. setzt es sich diese Grenze selbst, so ist die Komposition schön […] Darum ist das Reich des Geschmacks ein Reich der Freiheit – die schöne Sinnenwelt das Symbol, wie die moralische sein soll, und jedes schöne Naturwesen außer mir ein glücklicher Bürger, der mir zuruft: Sei frei wie ich” (Schiller 1966, 187, 189).
[14] In dieser Überzeugung des Dichters lag notabene ein Keim des Zerwürfnisses mit seinen bisherigen Gönnern und Mäzenaten, den Latifundienbesitzern Zygmunt Krasin´ski, August Cieszkowski, u.a..
[15] – traditionelle Bezeichnung des polnischen Staatswesens, “Gemeinwesen”, “res publica”.
[16] S. dazu Mayr 1984, Pfeiffer 1987, Bachleitner 1993.
[17] “Psalmo´w-psalm jako Pies´ni spoΩecznej poszyt trzeci”. Das “zweite Heft” meint die etwas frühere Dichtung mit dem ursprünglichen Titel “Drei Fragen” (“Trzy pytania”); diese ist mehr als ein Jahrzehnt später in offensichtlich umgearbeiteter Form unter dem Titel “Unfreiheit” (“Niewola”) als Teil der Broschüre Norwid 1864 umgearbeitet worden. Zu einer ausführlicheren Diskussion von “Der Psalmen-Psalm” s. R. Fieguth, “Die Gesellschaft – ein Lied. Über zwei frühe Gedichtzyklen Cyprian Norwids”; Beitrag zum Sammelband des Leipziger Polonistentags 2001 (im Druck). “Der Psalmen-Psalm” wurde als handschriftliches kalligraphiertes Manuskript für den wohl bemittelteten polnischen Hegelianer August Cieszkowski geschrieben, sicherlich als Dank für finanzielle Unterstützung.
[18] Die in “Psalmen-Psalm” IX. dargestellten endzeitlichen Harmonievisionen interpretiere ich als ironischen Ausdruck falscher kollektiver Harmoniehoffnungen; Trojanowiczowa 1981, 110 ff. sieht darin eine völlig ernsthafte Anknüpfung an messianistische Vorstellungen.
[19] Trojanowiczowa 1981, 110 findet das Werk “künstlerisch sehr uneben”.
[20] Letzterer wird in einer Episode aus dem römischen Imperium illustriert (Abtransport der heiligen Tempelstatuen aus Korinth (scil.: Verbindung mit Paulus) nach Rom unter dem Befehl des Mummius), die jedoch hinreichend transparent für aktuelle Verhältnisse zu Norwids Zeiten bleibt – das augusteische Rom ist für Norwid häufig Metapher für das zeitgenössische Paris.
[21] Die Textstücke “I. Schönheit” und “V. Der Kritiker ex professo” bringen zusätzlich ein theoretisch-kritisches Moment in den Zyklus.
[22] Diese Theorie hat Norwid Jahrzehnte später formuliert, 1882 in seinem nachmals bekannten Essay “Das Schweigen” (Milczenie), dt. bereits Norwid 1907, (vgl. dazu Fieguth 2001); es darf aber angenommen werden, dass die entsprechenden Ideen den Dichter schon früher bewegten.
[23] Nicht die unwichtigste davon ist das offensichtlich fingierte Datum “Geschrieben 1848” unter dem Vorwort. Titel und Thema des Poems “Unfreiheit” (“Niewola”) knüpft an III. “Unfreiheit” in “Gesellschaftslied. 1848” an. Zur Text- und Publikationgeschichte vgl. Gomulicki in PWsz 11, 63 (Punkt 232; ad rem “Trzy pytania” oder “Niewola”), 97 ff. (Punkte 368, 370, 378, 381, 382) sowie in PWsz 3, “Poematy”, 755 ff. Leider muss der Leser sich in Gomulickis Ausgabe die Bestandteile der Broschüre von 1864 mit einer kleinen Anstrengung selbst zusammensuchen (PWsz 3, 363-394; 543-555).
[24] So in der Originalausgabe; in PWsz 3 , 365 f., macht Gomulicki daraus “184[9]”
[25] Was in “An den Leser” (1864) noch als nachwirkende Revolutionseuphorie empfunden werden konnte, macht in dem VM-Vorwort “An den Leser” (1865) einem Gefühl von der “Kälte der Zeit” (IX. Ciemnos´c´, v. 15) Platz.