

Für meine Enkel
Hermann Wiebe
Für meine Enkel
Hannover Celler Str. 32 im Jahre 1954.
Hermann Wiebe
Als in diesen Nachkriegswirren ein Deutscher aus Rußland zurück kam u. nach seinem Glaubensbekenntnis gefragt wurde, da antwortete er: „Ich bin Mennonit“! Auf die weitere Frage was das wäre, Mennonit, da antwortete er: Ich weiß nicht, was das ist, man hat mir nur gesagt, ich wäre Mennonit, aber was das bedeutet hat mir niemand erklärt.
Ich glaube, daß hier eine große Lücke im Religionsunterricht der Mennoniten klafft, u. ich möchte, soviel an mir liegt, dazu tun, daß meine Enkel nicht auch in Verlegenheit kommen, wenn sie einmal gefragt werden: Was ist ein Mennonit u. worauf gründen sich die mancherlei Abweichungen von den andern christlichen Bekenntnissen?
Als Zwingli u. Calvin in der Reformationszeit in der Schweiz an die Reformierung der kath. Kirche gingen, da trat in Zürich auch ein weiterer Reformator mit Namen Felix Mauz auf, der da lehrte, daß eine Gesundung der Kirchenlehre nur zu erreichen sei, wenn die Menschen wieder zu den einfachen Sitten u. Gebräuchen der ersten christlichen Gemeinden zurückkehrten. Felix Manz wurde als Ketzer vom Rat der Stadt Zürich zum Tode verurteilt u. in der Limmat ertränkt, aber seine Lehre war damit nicht ausgerottet, sie breitete sich trotz aller Verfolgungen weiter aus, und Flüchtlinge brachten die Lehre Rheinabwärts in die Niederlande, wo sie begierig aufgenommen wurde u. etwa 10 Jahre später in dem ehemaligen kath. Mönch Menno Simonis ihren Führer fand, nach dem sie auch ihren Namen bekommen hat. Die bisherige Bezeichnung „Taufgesinnte“, behielten auch Teile dieser Bewegung bis heute bei, die sich auch heute noch in Holland „Doopsgezinte“ nennen. Wie schon vorhin gesagt, gründeten die Mennoniten ihre Gemeinden auf die heilige Schrift und nur die überkommenen einfachen Sitten u. Gebräuche der ersten Christengemeinden. Sie beriefen sich dabei auf die Vorgänge bei dem ersten Pfingstfest, wo Männer aus dem Volk aufstanden, sich auf das Bekenntnis ihrer Sünden u. ihres Glaubens taufen liessen u. dann die christliche Lehre ohne jede Schulung verkündigten u. andere, die der Taufe begehrten, auf den Namen des Vaters u. des Sohnes u. des heiligen Geistes tauften; wie es in der Bibel heißt, bei 5000 Menschen. Und so heißt auch heute noch die Formel bei uns, unter der die Taufe vom Ältesten vollzogen wird: „Auf das Bekenntnis deiner Sünden u. daß sie dir von Herzen leid sind, u. auf das Bekenntnis deines Glaubens, daß du glaubest u. bekennest, daß Jesus Christus Gottes Sohn u. für deine Sünden gestorben ist, so taufe ich dich auf dein Willen u. Begehren im Namen des Vaters, des Sohnes u. des heiligen Geistes.“
Das sind die Grundlagen für unsere Ablehnung der Kindertaufe. Das sind aber auch die Grundlagen für die Sitte der Taufgesinnten oder Mennoniten, sich ihre Prediger aus dem Volke zu wählen, nach dem Vorbilde der ersten Christengemeinden, bei denen es heißt: „Es sollen sein Älteste, Lehrer u. Diakonen.“
Als nun die ersten Christengemeinden entstanden waren, da mußten sie in Höhlen u. Katakomben in Ställen u. andern, scheinbar nicht heiligen Stätten ihre Versammlungen abhalten. Diese Sitte haben die Mennoniten teilweise noch bis auf den heutigen Tag beibehalten, mit der Begründung, daß Christus ja in einem Stall geboren wäre u. daß Gott überall sei, was noch durch das Christuswort bestätigt wird: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da will ich mitten unter ihnen sein“!
Nun konnten sich die Mennoniten aber doch nicht ganz dem Zuge der Zeit entziehen. Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entstanden in meiner engeren Heimat, dem Weichselmündungsgebiet, zahlreiche Kirchen ohne Turm. Dahin wurden dann die gemeinsamen Andachten hauptsächlich verlegt u. um 1800 begannen die städtischen Gemeinden sich Berufsprediger zu wählen u. sie dann auch zu besolden. Auch die Orgel hielt im 19ten Jahrhundert ihren Einzug in die Kirche, aber jeden weiteren Schmuck lehnte das Mennonitentum bis auf den heutigen Tag ab. Nicht einmal ein Kruzifix war in unsern Kirchen zu finden. Die Begründung dafür war das Gotteswort: „Du sollst dir kein Gleichnis noch irgend ein Bildnis machen, weder des, was im Himmel noch des, was auf Erden oder unter der Erde ist“!
Eine weitere Absonderlichkeit der Mennoniten ist die strikte u. bis heute beibehaltene Ablehnung des Eides. Auch dafür war ein Gotteswort maßgebend: „Du sollst allerdings nicht schwören; deine Rede sei ja-ja u. nein-nein, was darüber ist, das ist vom Übel.“ Die Ablehnung der Kindertaufe u. des Eides, sowie des Waffendienstes, hat uns viel Anfeindungen u. Unterdrückungen durch die Behörden eingetragen u. tausende haben deswegen in den Jahren 17[7]90-1870 ihre Heimat im Weichselmündungsgebiet verlassen u. sind nach Rußland u. Amerika ausgewandert.
Aber die Verweigerung des Waffendienstes konnte nur bis 1868 aufrecht erhalten werden. Sie gründete sich auf das Gotteswort: „Du sollst nicht töten.“ 1868 wurde dann durch Kabinettsordre König Wilhelms I die Wehrfreiheit der Mennoniten aufgehoben, ihnen aber gestattet, die Wehrpflicht als Ökonomiehandwerker, Krankenwärter, Trainfahrer oder Schreiber bei den Bezirkskommandos abzuleisten. Dagegen wurden auch die Beschränkungen im Erwerb von Grundbesitz, denen die Mennoniten etwa seit 1790 unterworfen waren, aufgehoben. Aber dieser neue Eingriff in die verbrieften Rechte der Mennoniten hatte nur noch eine geringe Auswanderung zur Folge. Schon bald nach 1870 meldeten sich viele junge Mennoniten freiwillig zum Heeresdienst, und in den beiden Weltkriegen haben die Mennoniten gleich den andern Dienstpflichtigen ihr Blutopfer für das Vaterland gebracht.
Ein weiteres heikles Thema in der Geschichte der Mennoniten, das ungern von ihnen erörtert wird, ist die Bezeichnung: „Wiedertäufer u. Bilderstürmer.“ Wenn man die Mennoniten als Wiedertäufer bezeichnet hat, so liegt dafür wohl eine gewisse Berechtigung vor, denn in der ersten Generation sind doch sämtliche neu hinzukommenden Mitglieder schon einmal als kleines Kind getauft worden. Die mennonitische Glaubenslehre erkannte aber diese Kindertaufen nicht an, denn sie lehrte doch, daß der Mensch nur auf sein eigenes Begehren und unter dem Bekenntnis seiner Sünden u. seines Glaubens getauft werden dürfe, welche Bedingungen natürlich bei einem kleinen Kinde nicht erfüllt waren. Jedenfalls haben sich die nachgeborenen Mennoniten der Sünde einer zweimaligen Taufe (wenn sie überhaupt eine Sünde ist) nicht mehr schuldig gemacht. Viel weniger Berechtigung hat schon die Bezeichnung: „Bilderstürmer“. Die Mennoniten stehen bis heute noch streng hinter dem Gotteswort: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen“ u. halten die Anbetung von Bildern für Abgötterei u. die Beförderung von verdienten Menschen zu Heiligen u. wie z.T. bei den Päpsten zu „Unfehlbaren“ ebenfalls. Das weitere Wort der heiligen Schrift: „Gott ist ein Geist u. die ihn anbeten wollen, sollen ihn im Geist anbeten“, ist uns heilig. Wir können es daher verstehen, wenn radikale Elemente gewaltsam die Gotteshäuser von diesen Götzenbildern reinigen wollten.
Aber die Mennoniten sind immer die Stillen im Lande gewesen u. dürften sich wohl kaum an diesen Tumulten beteiligt haben. Das würde auch im Gegensatz zu der Toleranz stehen, die Mennoniten immer gegenüber andern christlichen Bekenntnissen geübt haben. Sie wollten nicht in ihren Religionsübungen gestört werden oder beschränkt sein, aber sie gestanden jedem Mitmenschen das Recht zu, nach seiner Facon seelig zu werden.
Von den Wanderungen der Mennoniten.
Wie ich schon am Anfang dieser Schrift erwähnte, kam die Täuferbewegung schnell aus der Schweiz nach Holland u. ist dort auch bis zur Mitte des 19ten Jahrhunderts das Zentrum der Bewegung geblieben. Aber schon um die Mitte des 16ten Jahrhunderts zogen holländische Mennoniten in das damals polnische Preußen u. nach Danzig, wo sich ihnen in den weiten, schlecht entwässerten Gebieten am Rande des Frischen Haffes vom Drausensee bis Danzig ein großes Wirkungsfeld bot, das den heimatlichen Verhältnissen in Holland sehr ähnlich war u. wo ihnen freie Religionsübung u. Befreiung von den landwirtschaftlichen Lasten geboten wurde.
Über die Zuwanderung dieser Mennoniten nach Preußen, bestehen verschiedene Lesarten. Die Einen sagen, daß die Mennoniten vor den Verfolgungen der kath. Kirche nach Preußen geflohen sind, die Andern sagen, daß die Holländer wegen ihrer Wasserbaukunst von den preußischen Besitzern der sumpfigen Ländereien gerufen wurden. Jedenfalls ist es unbestritten, daß die Holländer viele tausend Hektar sumpfigen Landes in blühende Gebiete umgewandelt haben. Im Laufe der ersten 200 Jahre nach der Einwanderung der Holländer in das Weichselmündungsgebiet waren die sumpfigen Gebiete restlos besiedelt, auch hatten sie in den Städten Danzig, Elbing u. Marienburg festen Fuß gefaßt. Das Land für den Nachwuchs wurde knapp u. die Möglichkeit, sich durch den Erwerb weiteren Landes weiter auszudehnen noch durch ein Edikt Friedrich Wilhelms II erschwert, der den Mennoniten den Erwerb neuen Grundbesitzes verbot.
Da blieb den Mennoniten nur übrig auszuwandern. Sie folgten einmal dem Rufe der rußischen Kaiserin Katharina, die ihnen weite menschenleere Gebiete in Süd-Rußland zur Verfügung stellte, zum andern dem Rufe der eben selbständig gewordenen Vereinigten Staaten von Amerika. Beide Siedlungsgebiete boten den Mennoniten so günstige Existenzbedingungen, daß ihre Zahl, die der im Weichselmündungsgebiet zurückgebliebenen Glaubensgenossen bald weit übertraf. Das Weichselmündungsgebiet blieb zwar bis zum Beginn des 2ten Weltkrieges das Zentrum der deutschen Mennoniten, aber da von Rußland schon vor dem 1. Weltkrieg u. in noch stärkerem Umfang nach demselben, Mennoniten nach U.S.A. u. Kanada ausgewandert waren, so verlagerte sich das Zentrum der Mennoniten nach Nordamerika. Im 18ten Jahrhundert war die Verbindung der holländischen Mennoniten mit ihren verwandten Glaubensgenossen in Preußen immer schwächer geworden. Die früheren Holländer waren Deutsche geworden u. gaben nach 1750 auch die holländische Sprache auf. Das vertiefte natürlich noch den Riß zwischen deutschen u. holländischen Mennoniten. Erst im 19ten Jahrhundert schlossen sich die Mennoniten aus allen Ländern zusammen. Und nach den 2 Weltkriegen übernahm U.S.A. u. Canada – zusammengeschlossen im M.C.C. – Mennonitisches Central-Committee – eindeutig die Führung.
Sie wurde nach dem 2. Weltkrieg u. der Vertreibung der Mennoniten aus Preußen zu einem Segen für die Letzteren. Mit großer Dankbarkeit gedenken wir der Hilfe unserer Glaubensgeschwister in Nordamerika, welche den Resten der Mennoniten in Deutschland eine starke Stütze wurden, geistig u. körperlich.
Viele hundert Familien sind ausgewandert, u. zwar nicht nur nach U.S.A. u. Canada, sondern auch nach Brasilien, Paraguay u. Uruguay. Und so findet man heute Mennonitengemeinden in Rußland, Deutschland, Holland, der Schweiz, Frankreich, Canada, U.S.A., Mexiko, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Argentinien. Als Missionare u. Krankenpfleger sind sie auch nach Afrika, Indonesien, den Südseeinseln u. Korea u. Japan gekommen, so daß man wohl berechtigt ist, von weltweiten Interessen der Mennoniten zu sprechen.
In alle diese Länder kamen die Mennoniten aber nicht, um zu herrschen, sondern um zu dienen u. neuen Grund u. Boden urbar zu machen.