Sechs Fragmente aus Cyprian Norwids Poem Quidam

Der du sie sahst, halt dir die Augen zu
Und sag, was blieb besonders dir im Sinn?
Nicht die Glätte der Stirn, nicht des Haarzopfs Kranz,
Sondern etwas in dem, wie sie sich hielt – allgemein –
Und die Stimme: die setzte süß an im Ton,
Zerperlte dann flüssig – dann wurde sie silbern
Gehämmertes Klingelspiel, und dann gab’s
Etwas darin wie das Quietschen des Griffels!

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„Die Lyra nimm nicht mit, sie ächzt –
Die Spitzel hören, was sich drin verbirgt,
Zerschlagen sie zu Kreuz, dass jede Saite birst,
Und Worte berstend von sich gibt
Für alles – was noch etwas wert ist auf der Welt.
Die Leute werden sehen, wie dieses Sprechen
Zerrissner Brust ins Himmelsblau entfliegt,
Und werden ein paar Drachmen wetten, ob
Die Sprachsplitter noch Griechenland erreichen?
– – – – – – – — – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ach! ja, so ist es – sag ich dir – alte Kolosse
Sehn still zu ihrem Hain heraus und fliegen –
Orpheus, Homer! – Sieh –”

Und ihr Finger wies
Auf purpurrote Schatten an den Storen:
„Sokrates – hat auf der Stirne Falter oder Laub –
Zeigt mir etwas – so klein ist die Amphore –
Und so groß ist die Welt! – so groß die Schmerzen! –
Und Tod – Schlaf – Schlaf – Tod – –”

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Wie wenn durch Zeit die Ewigkeit du hörst,
Dabei dem Lärm der Jetztzeit seinen Lauf lässt,
Und nachsinnst, wo du bist, in all der Stille,
Die großen Inhalt hat, so arm sie wirkt –
Und frei ist von der Eile eitler Dinge,
Und prüfst nur noch, wie viel Gewissen dir
Gewährt ist, und wie viel abzutreten
Dem Zirkus, wo noch gar kein Kampf geschah:
So zählte Jason, von der Krankheitsmär
Beschirmt, einsam die Auf- und Untergänge –

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Die Säulenhalle ist nun leerer Raum – –
Im Alabasterbad der Lampe Licht
Nimmt ab – bleich röten sich die Säulen
Vom Licht, und werden dunkel auf der anderen Seite –
Zuweilen hörst du Stimmen hinterm Gang,
Zuweilen einen Diener träge schlurfen.
Die Lampe, die todnahe flackert, zuckt,
Da rühren Mosaiken sich am Boden,
Erschüttern Arabesken das Gewölbe,
Als wär der Bau – der Lampe Leib, und sie die Seele.

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Zwischen dem Frühlicht und dem Schwund der Nacht
Kämpft rosa Strahlenglanz gegen die Finsternis
Wie mit dem Fürsten dieser Welt die Tugend ringt –
Schwach ist der Glanz, aber vertrauensvoll, obwohl etwas ihn ständig täuscht.
Zwischen dem Frühlicht und der Nacht ist ein Moment,
Wo üppige Lohen schwirren, schwarz verhängt,
Bis sie ein schneller Strahl bezwingt.
Der letzte Stern verschwindet da im Himmel,
Und fuchsrot zeigt die Sonne ihre Schläfen –
Und das periodische Gedenken an die Schöpfung
Zeichnet sich ab wie stets seit Gottes Wink.
– In solcher Stunde kehrt’ in seine Wohnung
Zurück der Sohn von Alexander aus Epirus.

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Mit dieser Überlegung und der Freiheit,
Die eine Vermutung und Erklärung uns verschafft,
Ging Alexanders Sohn voran als junger Mensch
In einer Luft, die das Gewissen angreift,
In einer Luft, die den Geruch der neuen Ära
Samt Salz und Schwefel von der alten in sich hat,
Geflüster wolkennichtiger Gestalten,
Samt Lärm von Schlachten, die noch kommen und die schmerzen;
In einer Luft, du spürst’s, die lichterloh
Entbrennen kann wie Gottes Ofenbesen,
Kometen rings verschießen – viele Städte
Ausrotten, und viel Menschenasche schaffen.

„Ruhen! ach, ruhen!” – will das Herz dann rufen,
Und sucht umher, wo Halt zu finden wäre:
An jemands Brust ? – der Schwelle einer Kirche?
Doch welcher? – und du fragst, ist eins davon,
Sind alle tot, nur eines kann nicht sterben! –

In solcher Nacht steht der und jener auf,
Und trällert oder flucht heftig zur Unzeit,
Und solche Wahrheit amüsiert die Leute,
Amüsement – als schmerzensvoller Gram:
Denn Feuer ist das Wort – und Schweigen Lava –
Und glücklich, wer im Dunkeln aufstand,
Und seine Lyra nicht vergebens rührte,
Des Vorscheins Glanz erlebte, und danach
Durchhielt, auch wenn des Tages Müh ihn plagte,
Den Sturm ertrug, der donnernd endet, und – fürs Herz –
Ein Stückchen Regenbogen an die Schärpe steckte.
Noch glücklicher, wer nicht mit Salz gesät hat,
Auch wenn manch salzige Träne er geschluckt.
– Dies aber ist noch nicht der Schluss der Feldarbeit.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Denn wer ein Senfkorn sät, erbittert und erlöst:
Das Senfkorn ist gering und klein wie Pfeffer,
Es gleicht dem Staub, den unser Fuß aufrührt,
Doch wächst es übers Herz, über den Kopf,
Und wird derart zum Bildnis eines Baumes,
Dass drauf ein Himmelsvogel nisten wird.